Der Schreckenstag zu Naumburg 1)

27. November 2018

Es geschah vor 165 Jahren, am 30. November 1853. Ein Artillerist namens Schoen aus Eilenburg, Ordonanz des Majors der in Naumburg in Garnison liegenden Artillerie-Brigade-Abteilung schlich am Vormittag dieses Tages zum 1833 am Kirschberge zwischen dem Ende der Luisenstraße und der Quelle errichteten Naumburger Pulverturm.

Es war ihm gelungen, heimlich an den Schlüssel zu kommen. Was genau er dort vorhatte, wird für immer sein Geheimnis bleiben, denn 2 Minuten vor 11 Uhr fand sein Leben ein jähes Ende. Es kann nur spekuliert werden, ob er sich aus Überdruss das Leben nehmen, oder aus dem Pulvermagazin etwas stehlen wollte. Letzteres scheint wahrscheinlich zu sein, da man später sein halb verbranntes, mit Patronen gefülltes Schnupftuch fand.

Fakt ist, dass die Bewohner Naumburgs durch einen furchtbar starken Knall heftig aufgeschreckt wurden, dem mehrere schwächere Schläge und ein Minuten langes knattern, sowie das Dröhnen und Klirren zerbrochener Fensterscheiben in den Häusern der Stadt folgte. Als in der Gegend des Galgenberges dicke schwarze Rauchwolken aufstiegen, wurde es bald zur Gewissheit, dass das Pulvermagazin in die Luft geflogen ist.

In den in der Nähe gelegenen Häusern sprangen alle Fenster und Türen auf, die Möbel wankten, und der Kalk löste sich von Mauern und Dächern. „Selbst in Altenburg an der Saale, in Schulpforta und in Kösen sind Fensterscheiben zerbrochen. Die Erschütterung infolge der Explosion soll in einem Umkreise von 7 Stunden empfunden worden sein.“

Ein Augenzeuge der späteren Aufräumungsarbeiten berichtet, dass vom Pulverturm nichts übrig blieb. „Die vier Seiten seiner Umfassungsmauer waren nach den vier Himmelsgegenden augenscheinlich noch auf 100 Schritte und darüber fortgeschleudert worden; denn die Bahn, die sie durchflogen, ist klar am Erdboden wie vier auseinanderlaufende Strahlen zu sehen, wo der Schnee verschwunden, der Rasen teilweise aufgewühlt, und die in diesen Strahlen stehenden Fruchtbäume von nicht unbedeutender Stärke vom Boden wegrasiert sind.“ „Einzelne Steine dieser [nach Norden] fort geschleuderten Wand hat die Kraft des Pulvers bis an die 2000 Schritt davon entfernte Chaussee, welche nach Wethau führt, geworfen. Ein ca. drei Zentner schweres Mauerstück liegt in dieser Richtung an der sogenannten Krauthütte ca. 800 Schritte von dem ehemaligen Magazin entfernt.“

Von der Explosion am schwersten betroffen wurde das dem Tierarzt Mueller gehörende Wohnhaus, dass sich in der Nähe des Pulvermagazins, nur 65 Schritt davon entfernt, befand. Dieses Haus wurde vom Luftdruck gräulich verwüstet. „Das Dach ist größtenteils seiner Ziegel beraubt, die Umfassungsmauern sind geborsten, die Decken der Stuben teilweise eingestürzt, sämtliche Ofen und die Feueressen auseinandergerissen, alle Fenstertafeln zerbrochen und die Fensterrahmen zerknickt, kurz das ganze Gebäude so zerstört, dass es von Grund aus weggerissen werden muss.“

Ein westlich, ca. 700 Schritte entferntes Haus wurde gleichfalls sehr beschädigt, „trotzdem dass dasselbe durch dazwischen liegende Erdwälle und viele Bäume bedeutend geschützt liegt. 144 Fenstertafeln sind zersprungen, ja an der nach dem Pulvermagazin stehenden Giebelseite sind durch den Druck der Luft die ganzen Fenster mit teilweise zerknickten Rahmen in die Zimmer geschleudert worden.“

„Auch das [nördlich gelegene] Schießhaus hat viele Fensterscheiben eingebüßt, so wie auch in den Häusern der Stadt sehr viele Fensterscheiben gesprungen, ja sogar einige Essenköpfe eingestürzt sind.“

Vom Verursacher der Explosion blieb nicht viel übrig. „Der Körper dieses Unglücklichen ist auf eine schaudererregende Weise verstümmelt und zerrissen. Noch erkenntlich hat man in der Nähe der Explosion den vorderen Teil des Kopfes (die Gesichtslarve) mit dem oberen Teil der Brust, ein Bein und ein Arm, sowie die Bauchlappen des Unterleibes lederartig verhärtet gefunden, der hintere Teil des Körpers dagegen, namentlich das Rückgrat mit den Wirbeln ist ganz zerfetzt und zerrissen, verkohlt und vom Fleische entblößt auf verschiedenen Stellen in der Nähe der Stätte aufgefunden worden.

In dem Pulverturm befand sich zum Zeitpunkt der Explosion die gesamte Munition der in Naumburg in Garnison liegenden Artillerie, ungefähr 15 Zentner Pulver, größtenteils schon zu Patronen verarbeitet, nebst gefüllten Granaten, Vollkugeln und Kartätschen. Kurz vor dem Ereignis waren 18 Zentner Patronen, die dem Landwehr-Bataillon gehört hatten, nach Erfurt abgeliefert worden.

Außerdem hatten die Naumburger Kaufleute hier ihren Pulvervorrat von ca. 35 Zentnern gelagert.

Die Zerstörung durch diese Pulvermenge „würde noch stärker gewesen sein, wenn sämtliche Pulverfässer und Granaten sich in dem Magazin noch entzündet hätten, so aber flogen mehrere Pulverfässer in die Luft und entzündeten sich erst in beträchtlicher Höhe über der Erde, so wie auch sonst fast alle Granaten erst hoch in der Luft platzten und dieses schon oben bemerkte knatternde Geräusch veranlassten.“

Zum Glück forderte die Explosion keine weiteren Menschenleben. Dazu ist folgendes überliefert.

Ein von Boblas mit seinem Sohn kommender Bauer war nur 4 Minuten vor der Explosion auf dem an dem Magazin vorbei führenden Wege entlang gegangen. Beide wurden durch den Luftdruck in der Nähe des 500 Schritte entfernten Friedenshügels ohne weitere Verletzungen umgeworfen.

In dem Hause des Tierarztes Mueller war zu dieser Zeit bloß dessen Knecht im Pferdestall beschäftigt, welcher durch die Kraft des Luftdruckes an eine Säule geschleudert wurde und mit einer nicht gefährlichen Prellung davon kam.

Die Ehefrau Muellers befand sich gerade auf dem Wege zu ihrer Wohnung, als sie in der Nähe des Friedenshügels von der Explosion überrascht ohnmächtig ohne weitere Verletzung zusammensank.

Eine Familie, die in dem Hause Muellers zur Miete wohnte und am 1. Dezember ausziehen wollte, hatte das Haus schon zwei Tage vor der Explosion verlassen.

Zwei Arbeiter, die ungefähr 300 Schritte von der Explosion entfernt, die Erde an Obstbäumen aufgehackt hatten, sind ebenfalls ohne eine Verletzung, da ihnen ein Erdrand einigen Schutz gewährte, bewusstlos zusammengesunken.

Auch Tage nach der Explosion war man sich in der Stadtverwaltung der Gefahr, die von eventuell nicht explodierter Munition im Umfeld des ehemaligen Pulverturms ausging, durchaus bewusst. Das zeigt eine Bekanntmachung im Naumburger Kreisblatt vom 3. Dezember 1853:

„Es wird hiermit zur öffentlichen Kenntnis gebracht, dass alle Eisenmunition, welche nach der am 30. November stattgehabten Vernichtung des hiesigen Pulvermagazins durch Explosion etwa noch in der Gegend aufgefunden wird, an das hiesige königliche Kommando der Artillerie abzuliefern ist, und dass jede unrechtmäßige Zurückhaltung dergleichen aufgefundener Gegenstände als Diebstahl betrachtet und zur Bestrafung gezogen werden wird.

Etwa aufgefundene Hohlgeschosse sind übrigens mit der größten Vorsicht zu behandeln, da andernfalls durch dieselben leicht Unglück veranlasst werden kann.“

1) s. a. "Der Schreckenstag zu Naumburg am 30. November.", Naumburger Kreisblatt Nr. 97 vom 3. Dezember 1853

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