Die „Bewahranstalt“ für kleine Naumburger feiert ein Jubiläum

21. Juli 2022

Am Moritzplatz 10 steht Naumburgs älteste Kindertagesstätte, die vor 130 Jahren eingeweiht wurde. Doch die Anfänge dieser Einrichtung reichen noch weiter zurück.

Man schrieb das Jahr 1829, als „in einer benachbarten Stadt ein Bürger seine kleinen Kinder, um seinem Geschäfte nachgehen zu können, in seiner Wohnung eingeschlossen und bei seiner, durch Feuerlärm veranlassten, schleunigen Rückkehr durch Rauch und Brand getötet wieder gefunden hatte.

Dieser Fall war typisch für die Situation vieler Familien der ärmeren sozialen Schichten zur damaligen Zeit, in denen beide Elternteile gezwungen waren, zur Absicherung des Lebensunterhaltes ihrer Familien einer Arbeit nachzugehen. Die Zeiten der Großfamilien waren vorbei, weshalb niemand die Kinder betreuen konnte und so blieben sie sich selbst überlassen. Sie wurden häufig in der Wohnung eingeschlossen, wo sie vermeintlich sicher waren oder spielten auf den Straßen. Doch überall lauerten Gefahren auf sie. Seien es Brände, Verbrühungen, Vergiftungen oder Fensterstürze sowie Unfälle auf den Straßen durch unvorsichtige Reiter, Fahrende oder durch bösartige Hunde, immer wieder kamen Kinder zu Schaden.

Den Tod der beiden Kinder nahm der Naumburger Magistrat zum Anlass, einen „Aufruf an Kinderfreunde“ zu starten. In ihm warb er für die Errichtung einer Anstalt zur Kinderbetreuung, zum „Schutz ihres körperlichen Daseins“ aber auch um „der sittlichen Verwahrlosung entgegen zu wirken und den kindlichen Trieben in ihrer ersten Entwicklung die rechte Richtung zu geben.“ Die Realisierung dieses Vorhabens wurde als „gar nicht schwierig“ bezeichnet, denn es bräuchte nur „ein passendes Lokal, mit geräumigen heizbaren und gesunden Zimmern für den Winter und einem Garten oder sonst befriedigenden Spielplatz für den Sommer, und den rechten Mann, oder womöglich ein menschenfreundliches Ehepaar zu finden, den gegen eine angemessene Vergütung die Aufsicht über die Kinder und die Leitung der ganzen Anstalt übertragen werden könnte.“ Natürlich fehlte es aber wie immer an den notwendigen finanziellen Mitteln.

Offenbar hat sich nach diesem Aufruf aber nicht viel in der Sache getan, weshalb der Landrat Lepsius ein Jahr später eine „Aufforderung zur Errichtung einer Pflegeanstalt für Kinder von 1 bis 4 Jahren“ veröffentlichte. Darin verwies er insbesondere auf die guten Erfahrungen der Fürstin Pauline zur Lippe, die am 1. Juli 1802 die erste Kinderbewahranstalt in Detmold eröffnet hatte und äußerte die Überzeugung, dass sich hier schnell „tätige Beförderer“, also Spender, finden würden, um das „Institut binnen Monatsfrist“ eröffnen zu können.

Ganz so schnell ging es aber doch nicht, es dauerte noch 10 Jahre, bis es soweit war. In den ersten fünf Jahren nach dem Aufruf des Landrates wurden fast 600 Taler gesammelt und 1835 fand ein Benefizkonzert in der Wenzelskirche zugunsten der „längst schon projektierten Anstalt“ statt. 1837 spendete die Aachen-Münchener-Feuerversicherung einen Betrag von über 500 Talern. Im neuerbauten St. Jakob-Hospital, das am 18.11.1836 geweiht wurde, fand man dann entsprechende Räumlichkeiten und auch die Personalfrage wurde geklärt. Am 15. April 1840 verkündete der Magistrat „mit rühmlicher, die höchste Anerkennung verdienender Bereitwilligkeit, haben sich die zwölf Vorsteherinnen des Frauen- und Jungfrauen-Verein bereit erklärt, die Beaufsichtigung der Anstalt zu übernehmen.

Am 2. Mai 1840 war es schließlich soweit, im Naumburger Kreisblatt erschien die „Bekanntmachung, die Eröffnung der Kinder-Verwahr-Anstalt betreffend“, übrigens eine der ersten in der damaligen preußischen Provinz Sachsen. Unter der Leitung der Herren Archidiakonus Lic. Jahr und Pastor Gröbner kümmerten sich eine Pflegerin und ein Pfleger vom 9. Mai bis 28. Oktober des Jahres um die Kinder. Mütter, „welche Lust und Gelegenheit haben, zu ihrem und ihrer Familie Lebensunterhalt etwas zu verdienen, an diesem Gewerbe aber zeither durch die Sorge für Pflege und Wartung ihrer kleineren Kinder verhindert worden sind“, konnten die Aufnahme ihrer Kinder beim Armenpfleger ihres Bezirks beantragen. Folgende Festlegungen galten:

  1. Die Kinder müssen vollständig laufen können, und zwischen 2 und 6 Jahren alt sein. Ausgeschlossen sind Kinder mit ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten.

  2. Die aufgenommenen Kinder müssen an den Wochentagen morgens 6 Uhr, „gehörig gereinigt und bekleidet“ überbracht werden und können bis abends 7 Uhr dort bleiben.

  3. In der Anstalt erfolgt eine, „dem Lebensalter und sonstigen Verhältnissen entsprechende, der Gesundheit zuträgliche vollständige Beköstigung.Dafür war bei der Überbringung der Kinder täglich ein Elternbeitrag von ½ Silbergroschen zu leisten.

  4. Die Kinder werden unter Anleitung „mit zweckmäßiger, auf Anregung des Geistes berechneten Spielen beschäftigt, auch werden die älteren unter ihnen auf den künftigen Schulunterricht vorbereitet.

In der im Dezember 1840 vorgelegten Jahresabrechnung wurde festgestellt, dass „Jeder sich zu überzeugen Gelegenheit gehabt hat, wie überaus wohltätig der Aufenthalt in der Anstalt auf die Kinder gewirkt hat und welche wahrhaft überraschenden Resultate dadurch bei einzelnen Kindern hervorgebracht sind.An 174 Tagen wurden durchschnittlich 14 Kinder betreut. Auch finanziell hatte sich das Projekt bewährt, den Einnahmen von ca. 374 Talern standen Ausgaben von ca. 176 Talern gegenüber, es wurde also ein Überschuss von 198 Talern erwirtschaftet.

In den folgenden Jahren stieg die Zahl der betreuten Kinder stetig an, 1846 waren es durchschnittlich 39, 1851 45, später 50-60. War anfangs die Einrichtung nur in den Sommermonaten geöffnet, ging man ab dem 13. November 1847 zum Ganzjahresbetrieb über. Am 26. Oktober 1880 übernahm erstmals eine Lehrerin, Fräulein Anna Wächter, die Leitung des Hauses.

Moritzplatz 10Mit der wachsenden Zahl der Kinder erwiesen sich die Räume im St. Jakob-Hospital in zunehmendem Maße als unzulänglich und ungeeignet, ein neues Quartier musste her. Doch wie finanzieren? Zum Glück gab es vermögende Naumburger, die mit Spenden einen erheblichen Anteil der Kosten für einen Neubau trugen. Auf der Stadtverordnetenversammlung am 1. März 1890 konnte verkündet werden, dass „die Versammlung dankbar die Mitteilung entgegen nimmt, dass Frau Weinhändler Schotte 1.000 Mark, Herr Kaufmann Höltz 3.000 Mark, Herr Sanitätsrat Dr. Wagner 10.000 Mark und Frau Geheimrat Luther 1.000 Mark zum Bau einer neuen Kinderbewahranstalt geschenkt haben.“ Zu gleichem Zwecke bewilligte die Stadt aus Sparkassenüberschüssen 6.000 Mark und stellte den Bauplatz am Moritzplatz zur Verfügung.

Unter der Leitung des damaligen Stadtbaurates Schumann begannen im Spätsommer 1891 die Bauarbeiten, die mit der Einweihung des Neubaus am 23. Juli  1892 ihren feierlichen Abschluss fanden. Wie immer bei derartigen Veranstaltungen war jede Menge Prominenz anwesend: Regierungspräsident, Landrat, Vertreter des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung, die Vorstandsdamen der Kinderbewahranstalt, Geistliche, Lehrer u. a. Gönner und Freunde der Anstalt. Auch die Hauptpersonen, die Kinder, durften teilnehmen. Nach ihrem Einzug in den Saal und dem üblichen Gesang hielt der Oberbürgermeister Kraatz die Festrede. Am Ende „stimmten die kleinen Anstaltszöglinge einen Gesang vom Hausbau an, den sie recht wacker und mit sichtlicher Freude vortrugen.

In der Zeitung wurde das Haus wie folgt beschrieben: „In dem Erdgeschoss des Hauses liegt zur linken Hand der Garderobenraum für die Kleinen, rechts kommt man in das mit Tischchen und Bänkchen ausgestattete Lehrzimmer und aus diesem in den großen, freundlichen, wie jedes Zimmer mit Bildern und Spruchtafeln geschmückten Saal, der mit Gas beleuchtbar ist. Ein großer Wandschrank ist reich mit Puppen und anderem Spielzeug ausgestattet. Eine Treppe hoch befinden sich Wohnräume und Bodengelass. Aus dem Saale führt ein Ausgang in eine große überdachte Spielhalle und aus dieser einige Stufen in den geräumigen Hof und Spielplatz.“

Das Gebäude am Moritzplatz überstand bis jetzt alle Widrigkeiten der weiteren gesellschaftlichen Entwicklungen. Sein Inneres wurde einige Male erneuert bzw. modernisiert. Noch heute befindet sich in dem Haus mit der integrativen Kindertagesstätte „Am Moritzplatz“ eine Einrichtung zur Betreuung kleiner Naumburger.

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