Über die Entstehung und die ersten Betriebswochen unserer Straßenbahn

21. August 2022

Man schrieb den 15. September 1892, als in Naumburg eine neue Zeit anbrach. Gegen 11 Uhr versammelte sich am Bahnhof jede Menge Prominenz, „wo alsbald auch zwei Lokomotiven, mit Kränzen geschmückt, und den nötigen Personenwagen eintrafen“, war zwei Tage später im Naumburger Kreisblatt zu lesen.

Nach „einigen kurzen Worten“ bestiegen die Gäste die „praktisch, elegant und bequem eingerichteten Wagen“ und wurden in zwei Zügen nach der Stadt befördert. „Der erste Halt wurde am Verwaltungsgebäude gemacht, wo ein musikalischer Gruß der Stadtkapelle die Ankömmlinge begrüßte.“ Die weitere Fahrt ging „durch eine stetig anwachsende Schar erstaunter Zuschauer hindurch, die sich namentlich aus dem schönen und dem jungen Geschlechte rekrutierte. Nur mit größter Vorsicht konnten die Zugführer wegen der waghalsig auf des Geleis sich tummelten Kinder die Züge ohne Unfall vorwärts bringen. Viele Häuser hatten sich mit Flaggen geschmückt, einzelne Geschäftsleute hatten ihre Schaufenster festlich dekoriert und mehrfach wurden den Fahrenden aus den Fenstern Blumensträuße grüßend zugeworfen.“ Nach 20 Minuten war die Endstation am Wenzelstor erreicht. Die Jungfernfahrt unserer Straßenbahn fand mit einem Frühschoppen für die Prominenz im Saal des Hotels „Zum Schwarzen Ross“ ihr Ende. Am Abend gab es dann im Ratskellersaal eine Festtafel mit ca. 100 Gästen und es wurden die üblichen Dankesreden gehalten und Glückwünsche ausgesprochen.

Die Inbetriebnahme unserer Straßenbahn setzte den Schlusspunkt hinter jahrelange Bemühungen, die Verkehrsanbindung des Bahnhofes an das Stadtzentrum zu verbessern. Einen ersten Vorschlag dazu hatte es wohl schon 1866 gegeben, ein Jahr nach dem die erste Pferdestraßenbahn in Berlin startete. 1885 war es dann der Ingenieur Paul Frohwein, der vergeblich einen Plan für eine Pferdestraßenbahn in Naumburg vorlegte. Am 9. September 1889 wurde schließlich ein wichtiger Schritt getan, um das Projekt Straßenbahn voranzubringen. Es „konstituierte sich in einer die Frage eingehend erörternden Versammlung angesehener Bürger ein Komitee, welches die Möglichkeit der Erbauung einer Pferdebahn erwägen, bzw. den Bau vorbereiten soll.“ In einem Bericht über eine Bürgerversammlung am 10. Mai 1892 wurde über die Arbeit des Komitees berichtet, dass es „fortgesetzt und rastlos tätig gewesen ist, die Frage zu studieren, ähnliche Unternehmungen anderer Orte zu vergleichen, statistische Erhebungen bezüglich des Verkehrs anzustellen, Kostenberechnungen zu entwerfen, mit Unternehmern zu verhandeln und mit Geldleuten Verbindungen anzuknüpfen. Endlich im Sommer 1891 gelang es, den durch Ausführung mehrerer ähnlicher Bahnen empfohlenen Ingenieur Georg von Kreyfeld aus Halle für das hiesige Projekt soweit zu interessieren, dass er eingehende Pläne entwarf.“ Nach umfänglichen Erwägungen kam man zu dem Schluss, dass „nur Dampfbetrieb sich für Naumburg eigne, da Pferde bei hiesigem Terrain nicht praktisch sind und elektrischer Betrieb viel zu teuer wäre.“ Es wurde mit Kreyfeld ein Vertrag geschlossen, wonach dieser gegen Erteilung der Konzession die Bahn für 160.000 Mark bauen sollte, wovon 50.000 Mark von der Bürgerschaft aufzubringen waren. Der Vertrag wurde am 3. September 1891 durch die Stadtverordnetenversammlung genehmigt und übertrug Kreyfeld für 40 Jahre das alleinige Recht, in Naumburg eine Straßenbahn einzurichten und zu betreiben. Dieses Recht erstreckte sich auf die Linie vom Bahnhof durch die Bahnhofstraße, Georgenberg, Jägerstraße, Jägerplatz, Lange Gasse, Poststraße, Linden-, Herrenstraße, Markt, Jakobstraße, Jakobs-, Wenzelspromenade, Chaussee- und Kösener Straße bis nach Almrich. Die 40jährige Konzessionszeit sollte am 1. April 1892 beginnen. Auch war vertraglich festgelegt, dass die Pläne zum Bau bis zum Wenzelstor 6 Wochen nach Erteilung der Konzession einzureichen sind, 4 Wochen später mit dem Bau zu beginnen ist und dieser innerhalb von 3 Monaten abgeschlossen werden muss. Weitere Vertragsbedingungen sind im Kreisblatt vom 6. September 1891 nachzulesen.

Schon am 14. Oktober 1891 konnte berichtet werden, dass „die für das Aktienkapital der hier zu erbauenden Straßenbahn zur Zeichnung aufgelegten 50.000 Mark aus der Bürgerschaft nicht bloß voll gezeichnet, sondern sogar 6.000 Mark mehr angeboten worden.

Im Februar 1892 glaubte man noch das Projekt planmäßig vorantreiben zu können und beschloss, das Aktienkapital von 160.000 auf 200.000 Mark zu erhöhen, um die Bahn bis zum Ostbahnhof fortzusetzen. Doch Mitte März wurde bekannt, dass Kreyfeld die Konzession an „eine leistungsfähige Gesellschaft verkauft hat, die sich geneigt gezeigt hat, den Betrieb der Bahn auf elektrischem Wege zu bewirken.“ Als diese die Konzession wieder abstoßen wollte und die Stadt sich nicht in der Lage sah, die Geldmittel zum Kauf aufzubringen, beschloss man auf der schon erwähnten großen Bürgerversammlung am 10. Mai 1892 die Gründung einer Naumburger Straßenbahnaktiengesellschaft mit rund 120.000 Mark Aktienkapital. Der deutlich geringere Betrag wurde mit dem Wegfall des ursprünglich von Kreyfeld kalkulierten Gewinns und den gesunkenen Eisenpreisen begründet. Um eine recht vielseitige Beteiligung an der Gesellschaft zu erreichen, wurden Aktien zum gesetzlich niedrigsten Betrag von 200 Mark ausgegeben. Schon 3 Wochen später waren Aktien von über 90.000 Mark gezeichnet und am 2. Juni 1892 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, die Übertragung der Konzession an die zu gründende Aktiengesellschaft.

Von nun an ging alles ganz schnell. Weil die notarielle Gründung der Straßenbahnaktiengesellschaft erst am 18. Juni 1892 erfolgte, wurden noch im Mai vom Straßenbahn-Komitee Verträge über Eisenlieferungen abgeschlossen. Erste Schienenlieferungen erfolgten schon Ende Juni und am 4. Juli wurde am Bahnhof mit der Schienenverlegung begonnen. Bereits am 2. August mittags 12 Uhr wurden die Arbeiten „dadurch beendet, dass in der Herrenstraße eine gestiftete vergoldete Schraube als Schlussstück eingeschraubt wurde.“ Parallel dazu wurde der „Umbau des Reitschuppens am Marientor als Verwaltungsgebäude der Straßenbahn“ vorangetrieben. Am 16. August wählte die Generalversammlung der Aktiengesellschaft den Aufsichtsrat und am 6. September konnte auch die Besetzung aller erforderlichen Verwaltungsposten vermeldet werden.

Nun fehlte nur noch das „rollende Material“. Die erste Dampflok traf am 6. September morgens ein und sollte mittags feierlich zum Depot überführt werden. Ein loses Schienenlager, über das das Fahrzeug vom Waggon auf die Schienen rollen sollte, hielt jedoch der Belastung nicht stand und so erfolgte „zum Ergötzen der schadenfroh zuschauenden Droschkenkutscher ‚die erste Entgleisung‘, zum Glück ohne Schaden“. Wieder auf dem Gleis stehend ging es infolge fehlerhafter Pflasterung und Mangel an Heizmaterial nur langsam voran . Erst 8 Uhr abends kam man „unter dem Jubel der schaulustigen Menge im Depot an, aber auch hier richtete die Maschine einiges Unheil am Gebäude an.“ Die zwei Tage später eingetroffene Lok verblieb zunächst am Bahnhof, bis sie von der ersten abgeholt werden konnte. In den nächsten Tagen trafen auch die in Halle gebauten Personenwagen ein.

Die erwähnte Schadenfreude der Droschkenkutscher und div. kleine „Sabotageakte“ zeigen, dass nicht alle Naumburger für den Betrieb einer Straßenbahn waren. Schon bei den Probefahrten vor der Einweihung gab es zu einer Störung, weil „von unbefugter Hand ein Stück Eisen in eine Weiche geklemmt wurde.“ Als später Steine auf dem Gleis entdeckt wurden, beschuldigte man einen Droschkenkutscher, die Tat begangen zu haben. Die Täter, die am Georgenberg „die Schienen eingeseift hatten, um die Überwindung der Steigung unmöglich zu machen“ wurden wohl nicht gefasst.

StraßenbahnAber natürlich gab es auch viele Menschen, die das neue Verkehrsmittel ausprobieren wollten.Schon am Eröffnungstag waren die Züge so stark besetzt, dass „oft Fahrlustige keinen Platz finden konnten.“ Eine Woche später wurde gemeldet, dass „die Straßenbahn noch immer von Fahrlustigen so bestürmt wird, dass die Wagen gar nicht alle fassen können und die Polizei alle Hände voll zu tun hatte, um bei dem Andrang Unfälle zu verhüten.

Dem taten auch kleinere Betriebsstörungen keinen Abbruch. So löste sich einmal am ersten Tage die Kupplung zwischen Maschine und Wagen. Ein anderes Mal konnte nur eine Lokomotive fahren, weil der Führer der anderen Lok infolge Überanstrengung erkrankte und der zur Ablösung bestimmte dritte Führer noch nicht eingetroffen war. Später verhinderte ein Wasserrohrbruch das Nachfüllen des notwendigen Betriebsmittels und ohne Wasser gab es natürlich keinen Dampf.

Anhand der Veröffentlichungen im Naumburger Kreisblatt ist ein offenbar langwieriger Gewöhnungsprozess der Menschen und Pferde an das neue Verkehrsmittel auszumachen, der zu zahlreichen Unfällen führte. Da half auch kein Aufruf, dass das Befahren der Straßenbahngleise verboten ist. Oft passierte es, dass Pferde, die der Bahn begegneten scheu wurden, stürzten oder durchgingen. Dabei kippten die Wagen häufig um oder überschlugen sich gar. Auseinandersetzungen mit Droschkenkutschern am Bahnhof verzögerten mitunter die Abfahrt. Es kam auch vor, das Gespanne ohne Führer im Gleis „geparkt“ waren und erst zur Seite geschoben werden mussten. Meistens gingen diese Zwischenfälle ohne Verletzte ab.

Zwei lustige Begebenheiten sollen hier nicht unerwähnt bleiben. Als man gegen Ende September versuchsweise Fahrscheine einführte und ein Fahrgast vom Schaffner zur Bezahlung aufgefordert wurde, rief der erstaunt aus: „Was, muss man jetzt bezahlen? Vorige Woche hat es doch nichts gekostet!“ Groß war sicher auch der Frust, als ein „junger Landmann, der mit seiner Dulcinea den Zirkus besucht hatte, sich und seiner Teuren auch den Genuss unserer neuesten Errungenschaft bieten wollte und beide die Bahn an der Vogelwiese bestiegen. Leider sollte die Freude nur kurz sein; hatten sie doch übersehen, dass der Zug nach dem Wenzelstor fuhr. Sie waren daher nicht wenig erstaunt, dass sie schon wieder aussteigen mussten, noch ehe sie sich für ihre 20 Pfennige gesetzt hatten.

Blickt man auf die ersten 4 Betriebswochen der Straßenbahn zurück, muss man leider auch den ersten tödlichen Unfall erwähnen. Der 15jährige Sohn eines Aufsichtsratsmitgliedes der Bahn benutzte diese gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder. Unterwegs versuchte er „das verwegene Kunststück, von der Plattform des Wagens auf den zweiten zu springen und wollte auch seinen Bruder zu gleichem Wagnis verleiten. Er blieb jedoch am Trittbrett hängen, ließ noch rechtzeitig die Hand seines Bruders los, fiel selbst aber unter die Räder des Wagens und war, ehe der Zug angehalten werden konnte, tot.

Auch wenn die Einnahmen der Straßenbahngesellschaft in den ersten Wochen hoch waren, bis zum 27. September betrugen sie 2.846,94 Mark, bei geplanten 885 Mark pro Woche, so erwies sich der Betrieb bald als Verlustgeschäft. Selbst die Erhöhung des Fahrgeldes von 10 auf 15 Pfennige besserte die Lage nicht. Die Einnahmen blieben deutlich hinter den Erwartungen zurück, weshalb die Gesellschaft 1900 in Konkurs ging. Die Stadt übernahm die Bahn, aber wegen zunehmender technischer Probleme ging man daran, ihre Umstellung auf elektrischen Betrieb zu planen. Anfang Oktober 1906 fuhr die Dampfstraßenbahn das letzte Mal. „Die Dampfstraßenbahn ist tot – es lebe die elektrische Straßenbahn!“ war im Kreisblatt zu lesen.

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