Woran uns die Tafel am Haus Neuengüter 16 erinnert

20. September 2022

Geht man von der Michaelisstraße kommend die Straße Neuengüter hinab, erreicht man auf der linken Seite, wenn man die „Herberge zur Heimat“ passiert hat, ein Gebäude, das zur nachfolgenden ehemaligen Kinderbewahranstalt zu gehören scheint. An diesem Gebäude ist eine schwarze Tafel mit der Aufschrift „Gestiftet vom Königlichen Kommerzienrath Julius Mahr, 1892“ angebracht.

Volksbrausebad mit TafelDen wenigsten Lesern dieser Zeilen dürfte bekannt sein, worauf sich diese Inschrift bezieht und auch der Autor dieses Artikels glaubte anfangs an einen Zusammenhang mit der Kinderbewahranstalt, die im selben Jahre erbaut wurde. Doch weit gefehlt.

Nachdem in früheren Zeiten der Körperhygiene wenig Beachtung geschenkt wurde, setzte diesbezüglich im 19. Jahrhundert ein Umdenken ein. Weil aber die meisten Menschen kein fließendes Wasser in ihren Wohnungen hatten, versuchte man mit öffentlichen Badeanstalten gesundheitsfördernde Reinigungsmöglichkeiten zu schaffen. In Deutschland entstand die erste derartige Badeanstalt wohl 1855 in Hamburg.

In Naumburg wurde am 20. Januar 1879 im heutigen Lindenhof Nr. 4 eine Badeanstalt eröffnet. Wie im Naumburger Kreisblatt aus jener Zeit nachzulesen ist, hatte sie 8 Badezellen mit 9 Wannen, „teils aus Zink oder Kupfer, teils aus carrarischem Marmor; ferner ein freundliches Wartezimmer, sowie die verschiedenen Räume für russische und römische Bäder nebst Kühlzimmer.“ Die Zellen wurden durch eine Dampfheizung erwärmt, gestatteten teils Einzel- teils Doppelbäder und waren durch elektrische Klingeln mit dem Bademeister verbunden. Offensichtlich erfüllte das Bad gehobene Ansprüche. Auch wenn behauptet wurde, dass „die Preise so niedrig gestellt sind, wie dies nur irgend möglich und mit den Herstellungskosten vereinbar ist“ waren sie wohl für den „kleinen“ Mann kaum bezahlbar.

Der 1880 gegründete Naumburger „Verein für Volkswohl“ setzte sich dafür ein, auch den Naumburgern mit einem kleinen Einkommen das Baden zu ermöglichen und es gelang ihm, 1891 den Naumburger Magistrat von der Notwendigkeit des Baus eines Volksbrausebades zu überzeugen.

Auf der Stadtverordnetenversammlung am 23. Mai 1891 erklärte der Naumburger Magistrat seine Absicht, auf dem Moritzplatz ein Volksbrausebad einzurichten und beantragte dazu, aus den Überschüssen der Sparkasse 14.600 Mark zu bewilligen. Ferner teilte er mit, dass zwischen der 1870 gegründeten „Herberge zur Heimat“ und der Kinderbewahranstalt gebaut werden solle und der Vorstand der Herberge zugesagt habe, den Baugrund an die Stadt abzutreten.

Die Meinungen der Stadtverordneten zu diesem Thema waren sehr unterschiedlich.

Einer bezweifelte die Dringlichkeit des Bedürfnisses, weil „auch die vorher geforderte jetzige Badeanstalt sich nachher nicht rentiert habe.“ Ein anderer erklärte sogar, dass „vor der Hand wohl das Fluss-Freibad auf dem Anger dem Reinigungsbedürfnis der arbeitenden Bevölkerung genüge.Manche „erkannten zwar die Löblichkeit der angestrebten Einrichtung an, hielten aber ihre Verwirklichung für noch nicht an der Zeit, weil noch nicht feststehe, ob die Sparkasse überhaupt so viel Überschuss abwerfe.“ Außerdem wurden Zweifel angemeldet, „ob die Wasserleitung genug Wasser für den vorliegenden Zweck übrig lasse.

Doch es gab auch Befürworter, die mit Nachdruck das hohe Bedürfnis und die gesundheitliche Wichtigkeit der Einrichtung betonten, die durch das Saalebad nicht ersetzt werden könne, denn dieses sei zu abgelegen, nur im Sommer zu benutzen und für Frauen nicht eingerichtet; der steigend lebhafte Besuch werde das Bedürfnis bald als vorliegend erweisen.

Gestritten wurde auch darüber, ob die Stadt oder der Verein für Volkswohl die Verwaltung des Bades übernehmen solle.

Der Magistrat erwiderte, dass „die Bedürfnisfrage nach den Erfahrungen zahlreicher anderer Städte entschieden zu bejahen sei und die Aufsichtsbehörden so oft auf die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung hingewiesen hätten, dass die Verwendung der gar nicht zweifelhaften Sparkassenüberschüsse bestimmt genehmigt werden würde. Die alte Badeanstalt sei für den gewöhnlichen Mann zu teuer und er würde sie auch nicht gern benutzen, weil er sich dort geniert fühle.“ Und weiter: „Die Verwaltung des Bades solle dem Verein für Volkswohl übertragen werden, weil dies praktischer sei als städtische Verwaltung. Eventuell sei der Magistrat auch bereit, die Verwaltung auf die Stadt zu übernehmen.

Schließlich wurde mit knapper Mehrheit beschlossen, die 14.600 Mark zur Errichtung der Anstalt mit städtischer Verwaltung zu bewilligen.

Wer da glaubte, damit seien die Weichen für den Bau des Volksbades gestellt, wurde enttäuscht. Auf der Stadtverordnetenversammlung am 20. Juni wurde bekannt, dass der „Herr Regierungspräsident den Beschluss, aus Überschüssen der Sparkasse ein Volksbrausebad zu errichten, noch nicht genehmigt hat, sondern fordert, dass der Beschluss dahin ergänzt werde, dass es sich um die dem Reservefonds zustehenden Überschüsse handele.“ Während einige der Stadtverordneten erklärten, den zuvor gefassten Beschluss bereits in dieser Lesart interpretiert zu haben, beharrten andere auf den beschlossenen Wortlaut. Nach längerem hin und her ergab die Abstimmung, dass die Mehrheit der Abgeordneten die vom Regierungspräsidenten geforderte Ergänzung des früheren Beschlusses ablehnten. Damit war formal rechtlich der Beschluss zur Errichtung des Volksbades vom Tisch, wohingegen der Magistrat erklärte, dass „er das Recht der Versammlung zu solcher Änderung nicht zugestehen könne“.

Drei Wochen später konnte man mit Verwunderung im Kreisblatt lesen, dass die Erd- und Maurerarbeiten zur Erbauung einer Kinderbewahranstalt sowie eines Volksbades ausgeschrieben wurden. Eine weitere Woche später sickerte durch, dass der Regierungspräsident aufgrund des ersten Stadtverordnetenbeschlusses die Genehmigung erteilt habe, die Mittel zum Bau des Volksbrausebades den Sparkassenüberschüssen zu entnehmen.

Was sich in der Zwischenzeit hinter den Kulissen abgespielt hatte, wurde erst später bekannt. Der Naumburger Oberbürgermeister Kraatz hatte in einem persönlich überreichten Bericht an den Regierungspräsidenten erklärt, dass die erfolgte Ablehnung bedeutungslos sei, da schon der erste Beschluss alle Voraussetzungen zur Bestätigung enthalte. Außerdem sei der Beschluss „unter der Einwirkung von Faktoren außerhalb der Versammlung in der Annahme, die Sache werde so wie so genehmigt werden, und wegen nicht gehöriger Aufmerksamkeit auf die Debatten (!) zustande gekommen.

Die Reaktion der Stadtverordneten ließ nicht lange auf sich warten. Auf der nächsten Stadtverordnetenversammlung am 23. Juli wurde beschlossen, dem Regierungspräsidenten einen Protest gegen die Verwendung von Sparkassenmitteln für ein Volksbrausebad zu übermitteln.

Davon ließ sich der Magistrat aber nicht beeindrucken. Er trieb die Vorbereitungen für den Bau mit der Ausschreibung der Zimmererarbeiten am 23. August weiter voran, obwohl er auf der Stadtverordnetenversammlung am 5. September erklärte, auf die Entnahme der notwendigen Mittel aus dem Sparkassen-Reservefonds verzichten zu wollen. Wie aber kann man bauen ohne eine abgesicherte Finanzierung? Das fragten auch die Stadtverordneten und bekamen zur Antwort, dass man noch immer hoffe, die nötigen Mittel auf anderem Wege zu erlangen. Offensichtlich war die Hoffnung begründet, denn am 20. September wurde bekannt, dass der erforderliche Betrag „durch die Freigebigkeit eines gemeinnützig gesinnten Bürgers zur Verfügung gestellt worden sei.

Der dem Regierungspräsidenten übermittelte Protest der Stadtverordneten blieb im übrigen wegen eines Verfahrensfehlers folgenlos. Der Präsident lehnte in der Sache eine Entscheidung ab, „weil die Versammlung ohne die in der Städteordnung vorgeschriebene Mitteilung an den Magistrat sich an ihn, den Präsidenten, gewendet habe.

Wem war nun die Finanzierung des Bauvorhabens zu verdanken? Im Naumburger Kreisblatt vom 22. September 1891 heißt es dazu: „Wir sprechen nur ein offenes Geheimnis aus, wenn wir zu unserer Mitteilung in voriger Nummer hinzufügen, dass die hochherzige Spende zum Bau eines Brausebades dem Herrn Kommerzienrat Julius Mahr zu danken ist. Wie sehr dieser Herr sich der Liebe und Verehrung der Angehörigen seines Fabrikunternehmens, der Firma Johann Mahr und Söhne erfreut, dass bewies ein glänzender Fackelzug, der ihm am Sonnabend Abend von dem Kontor- und Fabrikpersonal dargebracht wurde. Unter Vorantritt des Stadtmusikkorps bewegte sich der Zug nach der Villa des Herrn Kommerzienrates am kalten Hügel, wo diesem durch eine Deputation des erwähnten Personals die allgemeinen Empfindungen der Verehrung ausgesprochen wurden.

Am 12. Juli 1892 konnte dann im Kreisblatt verkündet werden: Gestern „erfolgte die Öffnung des Volksbrausebades in Gegenwart von Vertretern des Magistrats und des Vereins für Volkswohl. Herr Dr. Köster übergab das Bad namens der Stadt mit den besten Wünschen für das physische und ethische Wohl seiner Benutzer dem Verein für Volkswohl zur Verwaltung und der Herr Landrat nahm es in Vertretung des Vereins dankend in Empfang. Das praktisch und sauber eingerichtete Bad enthält 8 Männer- und 6 Frauen-Brausezellen (warm und kalt), je eine Wannen-Badezelle und, völlig abgetrennt von jenen, einige Zellen für die Herberge zur Heimat. Das Bad kann, eine Pause von 1 bis 3 Uhr abgerechnet, von früh 6 bis zum Abend benutzt werden; zu einem Brausebad (10 Pfg.) hat man 15, zu einem Wannenbad (25 Pfg.) 30 Minuten Zeit. Handtuch und Seife werden gratis vorgehalten.

Nach der Eröffnung erlebte das Brausebad einen Besucheransturm. Drei Tage später war zu lesen: „Das Brausebad wird recht zahlreich benutzt und zählte in den ersten Tagen durchschnittlich 100 Besucher, die alle des Lobes voll sind über die praktische Einrichtung des Bades und über seinen wohltuenden Einfluss auf den Körper.

Auch wenn das Volksbrausebad heute nicht mehr existiert, erinnert die eingangs erwähnte schwarze Tafel an ein fast in Vergessenheit geratenes Stück Naumburger Geschichte.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.