Der Naumburger Wenzelsturm, früher ein Wachturm und heute nicht nur ein Denkmal

18. November 2022

Egal aus welcher Richtung man auf Naumburg blickt, dominiert ein Bauwerk die Silhouette der Stadt: der Wenzelsturm. Nicht nur der Turm, sondern auch das Kirchenschiff überragen alle anderen Dächer und selbst der viertürmige Dom kann diesem prägenden Eindruck nur wenig entgegensetzen.

Sucht man Informationen über die Geschichte des Turms, ergibt eine Recherche immer folgende, sich mehr oder weniger ähnelnde Aussage: „Der Turm der Naumburger Bürgerkirche St. Wenzel gehört seit alters her zum städtischen Besitz, denn der Kirchturm war gleichzeitig der wichtigste Wachturm der Stadt. Die Türmer hatten die Aufgabe, die Glocken zu läuten und Tag und Nacht nach Feuer – in Kriegszeiten auch nach feindlichen Truppen – Ausschau zu halten.“ Doch was heißt nun „von alters her“?

Will man dazu mehr wissen, kommt man an Karl Schöppe (1851-1915), einem Naumburger Zeitungsredakteur und Heimatforscher nicht vorbei. Er hat viele Informationen zur Geschichte der Kirche und des Turms zusammengetragen und veröffentlicht.

Wann die Kirche gebaut wurde, ist demnach nicht bekannt, doch muss dies schon im ersten Jahrhundert nach der Entstehung der Stadt Naumburg geschehen sein, weil sie 1228 in einer Urkunde Papst Gregors IX. erwähnt wird.

Kirche und Turm tragen den Namen des Heiligen Wenzels, eines böhmischen Fürsten, der um 908 geboren wurde. 929 (vielleicht auch 935) wurde er von seinem Bruder Boleslav ermordet. In Legenden wird er als gebildeter, mutiger und frommer Herrscher geschildert, der für die Tschechen einen festen Platz im christlichen Europa erkämpfte. Nach seinem Tod soll er noch viele Wunder vollbracht haben und wird deshalb schon seit dem 10. Jahrhundert als Heiliger verehrt.

Doch warum wurde ein slawischer Heiliger zum Schutzpatron der Kirche? Auch hier kann nur spekuliert werden. Nach Schöppe deutet das „vielleicht auf eine Entstehungszeit hin, wo das wendische Element in unserer Bevölkerung noch stark vertreten, und die Erinnerung an die vielfachen Verschwägerungen der Ekkehardiner mit den polnischen und böhmischen Herzögen noch lebendig war.“

Wie das erste Kirchengebäude ausgesehen hat, darüber ist ebenfalls nichts überliefert. Bedenkt man wie klein damals noch die Stadt war, wird es wohl ziemlich klein, vielleicht nur aus Holz, gewesen sein.

Am 25. August 1426 erfolgte durch den Bischof die feierliche Grundsteinlegung für den Neubau der Pfarrkirche zu St. Wenzel. Ob die alte Kirche zu klein geworden war, oder dem verheerenden Stadtbrand von 1384, dem das Rathaus, das damals noch am Topfmarkt stand, und der größte Teil der inneren Stadt zum Opfer fiel, ist unbekannt. Allerdings darf vermutet werden, dass die Kirche, oder vielleicht nur der Wenzelsturm den Brand mehr oder weniger unbeschadet überstanden haben, denn vom Ende des 14. Jahrhunderts gibt es erste Einträge in der von Ursula Dittrich-Wagner aus dem Naumburger Stadtarchiv zusammengetragenen Turmchronik, die eine Existenz des Turmes voraussetzen.

Aus dem Jahre 1397 wird berichtet: „den Seiger [Turmuhr] auf dem Wenzelsturm hat der Kirchner [Kirchendiener, Küster] stellen müssen.“ Im Jahr 1408 wird erstmals ein Türmer erwähnt, Hausmann genannt, der für die Tagwache 8 Groschen wöchentlich erhalten haben soll. Schließlich ist in den Naumburger Annalen von Sixtus Braun zu lesen, dass 1411 der Turm abgebrannt ist und deswegen der Türmer verhaftet worden sei. Schon ein Jahr später vermerkt er: „diese Zeit über hat der Rat die Kirche in baulichem Wesen erhalten und Kupfer zur Bedachung und Draht zum Seiger gekauft“, was vermuten lässt, dass der Schaden schon behoben war. Aus dem Jahr 1445 wird mitgeteilt, dass ein neues Uhrwerk gefertigt wurde.

Dann kam das Jahr 1473 mit der nächsten verheerenden Feuerbrunst, über die Sixtus Braun schreibt „die Stadt Naumburg ist dieses Jahr gänzlich ausgebrannt.“ Auch Kirche und Turm wurden in Mitleidenschaft gezogen, denn bei Sixtus Braun liest man weiter „zur Erbauung der Wenzelskirchen hat der Rat anderen Orten geschickt und dazu um Almosen bitten lassen.“

Auch wenn 1480 von der Änderung des alten Uhrwerkes die Rede ist, dauerte es wohl noch 10 Jahre, bis der Turm wieder hergestellt war. Zum Jahr 1490 schreibt Sixtus Braun: „Der Kirchturm ist dieses Jahres erbauet, und darauf ein klein Türmlein, darinnen der Seiger hänget, verfertigt, desgleichen ist der Turm mit Schiefern gedeckt worden und hat in allem zu bauen gekostet 18 Sch 8 Gr.“ Weitere Bauarbeiten folgten. 1513 richtete man eine Türmerstube ein und 1517 baute man mit Aufwendung von 260 Schock die vier Wachterker an. Geplant war auch, die Turmspitze mit Kupfer zu bekleiden, wozu man schon 40 Zentner davon gekauft hatte. Doch es kam anders.

Am 21. Oktober 1517 wurde durch "ein erbärmliches und schreckliches Feuer, welches der Hausmann nicht inne worden, die ganze Stadt bis auf wenige Häuser in die Asche gelegt, also dass man auf dem Markte zu allen Toren hinaus gesehen."

Auch die Kirche und der Turm wurden schwer beschädigt, beide brannten aus. Die im Turm befindlichen Glocken stürzten herab und zersprangen. Noch heute sind im Inneren des Turms Brandspuren in Form gesprungener und verfärbter Steine deutlich sichtbar. Gemessen an so manchem heutigen Bauvorhaben ging es mit dem Wiederaufbau auch des Turmes zügig voran. 1518 wurden die Turmerker und die Türmerwohnung neu erbaut, „weil der Stadt Verwahrung und Wache darauf desto füglicher geschehen mögen.“ Außerdem wurden die Kirchturmspitze und der Turm mit Kupfer eingedeckt und von Hans Abenbroth zu Erfurt die (Schlag-) Glocke für das neue Uhrwerk gegossen.

Im gleichen Jahr goss der Freiberger Glockengießer Martin Hilliger (14.12.1484-15.06.1544) drei neue Glocken für den Turm. Als diese nach Naumburg geschafft waren, „hatt man sie Freytags vor Mariae geburt [8. September] auff dem Kirchoffe gegen die Vihegassen hangend angeleütet.“ In den Turm konnten sie noch nicht gleich gehängt werden, da der Glockenstuhl noch nicht fertig war. Dendrochronologische Untersuchungen am heute noch erhaltenen Glockenstuhl belegen, dass das Eichenholz, aus dem dieser besteht, erst 1521 geschlagen wurde.

Auf Grund seiner Höhe war der Turm Witterungsunbilden, besonders Stürmen und Gewittern stärker ausgesetzt, als andere Gebäude der Stadt.

1562 stellte man fest, dass „die Gewalt der Stürme die Turmspitze aus ihrer Richtung gedrängt hatte.“ Zur Behebung des Schadens wurden 6 Gerüste errichtet, doch noch vor Beginn der Arbeiten schleuderte am Abend des 6. April 1562 ein „großer ungestümer Wind“ den Turmknauf samt der Spitze und zwei Gerüste nach unten. Zum Glück wurde niemand verletzt. Am Donnerstag nach Johanni [24. Juni] wurden Knopf und Spitze neu aufgesetzt.

Neue Beschädigungen erlitt der Turmknopf im 30-jährigen Krieg, wo er 1642 durch Schweden von Kugeln durchlöchert wurde. Die Reparatur erfolgte 1666 durch einen Kupferschmied aus Rudolstadt, der die Spitze bestieg und den Knopf, ohne ihn abzunehmen, ausbesserte. Eine umfassende Reparatur des Turmdaches und Haubengebälks war die Ursache, dass im Herbst 1706 wiederum die Turmspitze abgenommen wurde. Diesmal setzte man aber den Knopf nicht wieder auf, sondern brachte stattdessen ein von einem Leipziger Kupferschmied"aus Kupfer gefertigtes Herz mit vergüldeten Flammen" an und auf diesem ein vergoldetes Kreuz.

Am 7. Dezember 1868 erschütterte erneut ein Sturm die Turmspitze so, dass ihre schiefe Stellung einen Absturz befürchten ließ. Deshalb wurde am 17. Dezember 1868 durch einen Weißenfelser Meister das Kreuz samt dem goldenen Herzen abgenommen. Dieses Flammenherz wurde zu einer Kugel umgearbeitet, das Kreuz etwas verlängert und beide am 24. September 1869 neu montiert.

Nachdem der Blitz wiederholt in den Turm eingeschlagen hatte (1719, 1817 und 1828) versah man ihn 1828 mit einem Blitzableiter. Wegen einer ungenügenden Erdung des Blitzableiters verursachte am 11. Dezember 1891 ein kalter Blitzschlag einen erheblichen Schaden, der eine umfangreiche und kostspielige Erneuerung, nicht nur der Turmspitze, sondern auch der Kirche nach sich zog. Der Blitz traf und zerriss das Turmkreuz, drang dann ins Kircheninnere ein, lief von Ost nach West an der Decke entlang eines Gasrohres, bis er bei der nordwestlichen Tür wieder zur Erde herab und in die Erde ging. Der Schaden war bedeutend. Die Erneuerungsarbeiten dauerten vom Frühjahr 1892 an bis zur Wiederweihe der Kirche am 6. September 1904. In dem Zusammenhang wurde die Turmspitze am 21. Mai 1894 abgebaut und am 13. Juni nach der Reparatur wieder aufgesetzt.

Den nächsten schweren Schaden, insbesondere an der Kirche, richtete der Bombenangriff auf Naumburg am 9. April 1945 an. Ihre Beseitigung dauerte bis 1950.

Der Zahn der Zeit und die Mangelwirtschaft nach dem Krieg trugen dazu bei, dass sich Kirche und Turm nach der politischen Wende 1989 in einem äußerst maroden Zustand befanden. 1992 musste der Treppenaufgang zum Turm gesperrt werden. Während der untere Wendelturm durch Ringanker gesichert werden konnte, gab es keine Rettung für den oberen. Er wurde 1993 abgetragen, 1994 erfolgte der Wiederaufbau. In den folgenden Jahren wurde die Turmhaube erneuert und mit Kupferblech beschlagen, die Türmerwohnung einschließlich aller Versorgungsanschlüsse, die Zifferblätter der Turmuhr und der Glockenstuhl saniert.

Seit dem 5. Mai 2001 ist der Turm wieder für den Besucherverkehr von April bis Oktober geöffnet.

 
 

Steigt man heute die Treppe des Naumburger Wenzelsturms hinauf, erreicht man nach 102 Stufen das 1923 erneuerte Uhrwerk der Turmuhr, womit nicht nur die Zeiger an den vier Zifferblättern, sondern auch die Monduhr und die beiden Schlagglocken in der Turmhaube angetrieben werden. Nach 144 Stufen gelangt man in ca. 40 m Höhe zur Glockenstube, in der die drei Glocken aus dem Jahr 1518 zu bewundern sind, die nach ihrer Sanierung 2001 hier wieder ihren Dienst tun. Hat man 202 Stufen bezwungen, wird man in der Türmerwohnung auf ca. 45,5 m begrüßt. Hier zahlt man Eintritt und kann nach der Besichtigung der Wohnung die letzten 40 Stufen in Angriff nehmen. Bevor man die Turmlaterne erreicht, gibt es zwischendurch noch einen mehr als 250 Jahre alten Lastenaufzug zu sehen. Nach 242 Stufen ganz oben angekommen, hat man aus ca. 53,5 m Höhe einen grandiosen Ausblick auf die Stadt, über die Saaleauen zu den Weinbergen und nach Freyburg.

Seit 2013 gibt es für die Turmbesteigung auch eine Jahreskarte. Zur Einführung veranstaltete die Stadt einen Wettbewerb mit dem Titel „Bleib fit und mach mit, der Wenzelsturm ruft!“ Gesucht wurde dabei derjenige Besucher, der innerhalb einer Saison die meisten Aufstiege schafft. Seit 2014 wird der Wettbewerb von einer kleinen Gruppe turmbegeisteter Naumburger, die sich Turmfreunde nennen, fortgeführt. Bei zahlreichen Aufstiegen ist es aber nicht nur der Wettbewerbsgedanke allein, der sie antreibt. Die Aussicht, mit der jeder Aufstieg belohnt wird, reizt täglich aufs Neue und wissbegierige Besucher aus Nah und Fern sind immer dankbar dafür, wenn ihnen die Turmfreunde aus der Turmlaterne blickend etwas zur Geschichte von Turm und Stadt, aber auch zu einzelnen Bauwerken, zur Straßenbahn, zum Saale- und Unstrutradweg usw. erzählen.

Die Aktivitäten der Turmfreunde zur Gästebetreuung werden von der Stadt allerdings kaum wahrgenommen und die sportliche Nutzung des Turms findet nicht nur Befürworter. Von einigen Mitarbeitern der Naumburger Stadtverwaltung war schon von der Belästigung anderer Gäste und einer Entweihung des Denkmals zu hören.

Doch ist es nicht eigentlich so, dass die Turmfreunde das Denkmal ehren, indem sie dort für sich und für andere etwas Nützliches tun?

S. a. https://wenzelsturmfreunde.de

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