Frevelhaftes und leichtsinniges“ Handeln führte zum Konkurs

15. Dezember 2022

Der Ende Dezember übliche Jahresrückblick fiel 1892, also vor 130 Jahren, schlecht aus: „dieses Jahr wird in der Geschichte Naumburgs allezeit als das des Bankbruchs unvergesslich sein“, war im Naumburger Kreisblatt zu lesen. Nun, ganz so ist es nicht, die damaligen Ereignisse sind heute weitestgehend vergessen und sollen deshalb hier in Erinnerung gebracht werden.

Was war passiert? Um das zu erzählen, sollte man bis in das Jahr 1861 zurück blicken. Zu Weihnachten des Jahres wurde bekanntgegeben, dass am 18. Dezember in Naumburg „ein Vorschussverein nach dem Muster der in Delitzsch, Eilenburg und anderen Städten schon seit mehreren Jahren in segensreicher Wirksamkeit bestehenden begründet worden ist.“ Mit solchen Vereinen sollte die Möglichkeit geschaffen werden, kleineren Kaufleuten, Gewerbetreibenden, Beamten und Privatleuten einen vorübergehenden oder längeren Kredit zu gewähren. Dies war ihnen bei Banken oft nicht möglich, da sie im Gegensatz zu Grundbesitzern, Großkaufleuten und Fabrikanten keine Sicherheiten dafür bieten konnten. Die Mitglieder dieser Vorschussvereine waren zu monatlichen Spareinlagen verpflichtet, wovon sie auch ohne Unterpfand, aber gegen Bürgschaft zahlungsfähiger Personen angemessene Kredite erhalten konnten und gleichzeitig auch ihr Sparsinn anregt werden sollte.
Mitglieder des hier gegründeten Vorschussvereins waren u. a. Friedrich Voß, Moritz Riedel und Heinrich Moritz Förtsch, Personen, die Jahrzehnte später noch eine unrühmliche Rolle spielen sollten.

 Lindenring 32
Im Erdgeschoss des Hauses Lindenring 32 befand sich ab 1879 das Kontor für die Buchhaltung des Vorschussvereins und späteren Bank-Vereins.

 

Nun ist mit einem solchen Verein allerdings wenig Geld zu verdienen, was vermutlich der Grund war, dass die Generalversammlung des Naumburger Vorschussvereins im September 1889 den Antrag zur Umwandlung in einen auf Aktien zu begründenden "Bank-Verein" genehmigte. Das den Vorschussvereinen zu Grunde liegende Solidarprinzip legte man damit ad Acta, da Aktiengesellschaften bekanntermaßen gewinnorientiert agieren.
I
m Laufe des Oktobers 1889 gab man entsprechend der Genossenschaftsanteile Aktien heraus, weitere konnten zum Höchstgebot erworben werden. Direktoren des Bank-Vereins wurden die schon genannten Herren Voß, Förtsch und ein gewisser Hugo Grothe.

Das der Bank-Verein Probleme hat, wird so mancher geahnt haben, als am 31. Januar 1892 im Kreisblatt zu lesen war, dass Direktor Voß zum 1. April sein Amt als Stadtrat niederlegen will. Noch überraschender war zwei Tage später die Mitteilung, dass er plötzlich und unerwartet verstorben sei.

Wie heftig die Gerüchteküche daraufhin brodelte, ist nach dem Zeitungsartikel vom 5. Februar zu erahnen: „An den plötzlichen Tod des Rendanten [Zahlmeister, Rechnungsführer, Verwaltungsleiter] des hiesigen Bankvereins, des Herrn Voß, haben sich eine Reihe ungeheuerlicher Gerüchte geknüpft. Unsererseits haben wir nur feststellen können, dass die Verwaltungsorgane eben an der Arbeit sind, eine umfassende Revision der Geschäftslage durchzuführen und sie werden gewiss so bald irgend möglich die wirkliche Lage der Verhältnisse dem beteiligten Publikum darlegen. So viel ist gewiss, dass dem verstorbenen Rendanten gewinnsüchtige und eigennützige Motive nicht untergelegt, sondern nur zu große Vertrauensseligkeit vorgeworfen werden kann.“

Außerdem wurden die Kunden des Bank-Vereins dazu aufgerufen, Ruhe zu bewahren: „Vor der Hand empfiehlt es sich, die Dinge mit ruhiger Besonnenheit anzusehen und nicht durch überängstliches Anstürmen eine Katastrophe herbeizuführen, die für niemanden Nutzen, wohl aber für weite Kreise nicht abzusehenden Schaden verursachen kann. Selbstbeherrschung und kaltblütige Geduld werden es der Leitung am ehesten und leichtesten ermöglichen, den gestörten Geschäftsgang wieder in geordnete Bahnen zurückzuführen.Das war sicherlich leichter gesagt als getan, weil es immer wahrscheinlicher wurde, dass die Spareinlagen der Bankkunden gefährdet, wenn nicht schon verloren waren.

Am 6. Februar wurde dann im Kreisblatt die schon vermutete Todesursache des Herrn Voß bestätigt: „Gestern Vormittag ist im Krankenhaus auf staatsanwaltschaftliche Veranlassung die Sektion der Leiche des Rendanten Voß vorgenommen worden und hat die über die Todesursache umlaufenden Gerüchte bestätigt: Magen und Gedärme sollen von Gift zerfressen gefunden worden sein; zur näheren Feststellung der Giftart sind Leichenteile an ein chemisches Laboratorium gesandt worden.
Das
wertete man natürlich als Schuldeingeständnis, doch wie stand es nun tatsächlich um die Bank? Im Kreisblatt war einen Tag später zu lesen: „Auswärtige Blätter gefallen sich fortgesetzt in übertriebenen Mitteilungen über die Krisis im hiesigen Bankverein. Wir betonen nochmals, dass ein Defizit buchmäßig überhaupt nicht vorhanden ist, sondern dass ein solches erst möglicherweise bei der Einziehung der Außenstände eintreten könnte.

Was es mit diesen Außenständen auf sich hatte, erfuhr man als aufmerksamer Zeitungsleser erst nach und nach, zunächst war immer nur von leichtsinnigem Kreditgeben als Ursache der ganzen Schwierigkeiten die Rede. Außerdem wurden die Gläubiger der Bank immer wieder beschworen, zunächst auf die sofortige Auszahlung ihrer Guthaben zu verzichten, weil sonst ein „unabsehbares Unglück für unsere Stadt, für viele unserer Mitbürger, für große Kreise fleißiger Arbeiter“ drohe, wenn es zu einem Konkurs der Bank käme.
A
nhand der Veröffentlichungen in der Zeitung konnte man zwei Hauptschuldner des Bank-Vereins ausmachen, eine hiesige Firma Becker & Schulze und eine Berliner Export-Firma Heydrich & Grothe. „Die übrigen Außenstände des Bankvereins sind durchweg gut und zum großen Teil als genügend gedeckt zu betrachten.“ Da der Besitz des ersten Hauptschuldners aus „umfangreichem und jedenfalls sehr wertvollem Bergwerks-Besitz und einer seit zwölf Jahren im Betrieb befindlichen, bisher sehr lukrativ gewesenen Eisenbahn von ca. 9 km Länge“ bestehen sollte, fühlte man sich hier halbwegs sicher, die Außenstände eintreiben zu können.

Während immer mehr eine Offenlegung aller Zahlen und die Einberufung einer Gläubigerversammlung gefordert wurde, kamen weitere „Personalnachrichten“ aus dem Bank-Verein: am 16. Februar legte das Aufsichtsratsmitglied Moritz Schmid sein Stadtverordneten-Mandat nieder und einen Tag später fand man das Aufsichtsratsmitglied Moritz Riedel in seiner Wohnung tot auf.

Am 19. Februar fand dann die erste Versammlung von Gläubigern des Bankvereins statt und es wurde eine Übersicht über den Stand gegeben. Danach betrugen die Schulden des Vereins 3.150.000 Mark, zuzüglich noch nicht fälliger Beträge in Höhe von 180.000 bis 200.000 Mark. Das Vermögen der Bank und die sicheren Außenstände schätzte man auf reichlich 1 Million. Zu den unsicheren Forderungen gehörte ein Betrag von 500.000 Mark, den die Firma Heydrich Gothe schuldete, wovon nur etwa ein Zehntel zurückgezahlt werden könnte. Eine zweite ungedeckte Forderung in Höhe von 3 Millionen Mark ging an die Firma Becker & Schulze. Zwar verwies diese zur Deckung auf ihren Besitz an Bergwerken, dieser konnte aber nicht mit Hypotheken belastet werden, weil dem Schuldner die Mittel zum Weiterbetrieb fehlten und ohne diesen Betrieb der Besitz entwertet würde. Im Sinne der Schadensbegrenzung war der Bank-Verein gezwungen, den Bergwerksbesitz zu übernehmen und seine Aufsichtsräte verpflichteten sich, 200.000 Mark zum Weiterbetrieb des Unternehmens aufzubringen.

Das änderte allerdings nichts an der Zahlungsunfähigkeit des Bank-Vereins, weshalb am 20. Februar 1892 das Amtsgericht das Konkursverfahren eröffnete, einen Konkursverwalter bestimmte und alle Gläubiger aufrief, ihre Forderungen anzumelden. Damit begannen die Mühlen der Justiz zu mahlen und sie taten das zweieinhalb Jahre lang. Während dessen versuchte der Konkursverwalter Klarheit in der Sache zu gewinnen, den Bergwerksbesitz zu Geld zu machen, was nur äußerst verlustreich gelang, und Außenstände des Bank-Vereins einzutreiben. Dazu wurden u. a. 16 Prozesse geführt, die für drei der Beklagten eine Konkurserklärung zur Folge hatten.

Am 12. Juli 1894 war es dann so weit. Da nach Voß inzwischen auch das zweite Mitglied des Vorstands des Bank-Vereins, Heinrich Moritz Förtsch, verstorben war, eröffnete man den Prozess nur gegen Hugo Grothe, das dritte Vorstandsmitglied. Dabei wurde im Detail die „ebenso überraschende, wie unverantwortliche Verwaltung der dem Bankdirektorium anvertrauten Gelder“ festgestellt, indem „gegen ganz und gar ungenügende oder überhaupt fehlende sichernde Unterlagen Kredite von unerhörter Höhe gewährt worden waren.Bei den Vernehmungen des Angeklagten, Mitarbeitern der Bank und Hauptschuldnern kam zu Tage, wie das Ganze möglich geworden war. Da war von fehlendem Informationsaustausch zwischen den Vorstandsmitgliedern, mehrfacher Buchführung und bewusster Täuschung von Aufsichtsratsmitgliedern bei den vorgeschriebenen jährlichen Revisionen die Rede. Der Staatsanwalt sprach in seiner Anklagerede vom „frevelhaften und leichtsinnigen Treiben des verstorbenen Voß, der mit äußerster Raffinesse alle, selbst gewiegte Konkurrenten, über seine Manöver und über die wahre Lage der Bank zu täuschen verstanden habe.Und weiter: „Solche Kredite seien nur möglich gewesen bei der tadelnswerten Vertrauensseligkeit der Aufsichtsräte, die ihr Amt sehr mangelhaft ausgeübt; bei der Oberflächlichkeit, mit der die Revisoren ihre Tätigkeit verrichtet; vor allem und in erster Linie bei der strafbaren Pflichtwidrigkeit, mit der die Direktoren ihre Treue und Schuldigkeit gegen die Bank verletzt hätten.“ So sei es dahin gekommen, dassder Bankverein lediglich ein Finanzinstitut für Herrn Becker, dem Hauptschuldner, geworden sei, dem hier die Einlagen bemittelter Leute, wie die sauren Ersparnisse der Arbeiter und die Notgroschen von Witwen und Waisen auf sein Verlangen zu Füßen gelegt worden seien.
D
a die Mitschuld des Angeklagten zweifelsfrei herausgearbeitet werden konnte, verurteilte man ihn zu einem Jahr Gefängnis und 1.500 Mark Geldstrafe.

Die Aufsichtsräte wurden trotz ihres Fehlverhaltens nicht zur Rechenschaft gezogen.

Und die Gläubiger? Sie hatten wie häufig das Nachsehen. Gegen Ende des Jahres 1892 zahlte man ihnen 10 % ihrer Forderungen und im September 1894 weitere 10 % aus. Welche Folgen das für Einzelne hatte, stand natürlich nicht in der Zeitung.