Irrungen und Wirrungen um die Naumburger Hausnummerierung
21. Januar 2024
Am 17. Januar vor 200 Jahren erschien im Naumburger Kreisblatt eine Bekanntmachung des Stadt-Polizei-Amtes, dass eine neue Nummerierung aller Häuser Naumburgs erfolgen soll. 38 Jahre zuvor war erstmals eine Nummerierung vorgenommen worden, die sich inzwischen in vielerlei Belangen als unpraktisch herausgestellt hatte.
1786 war veranlasst worden, dass die Städte und Gemeinden im Zusammenhang mit der Erstellung eines Brandversicherungskatasters genaue Aufzeichnungen über die in ihren zuständigen Gebieten gelegenen Grundstücke anzufertigen hatten. Damit entstand hier erstmals ein Verzeichnis aller Grundstücke mit Hausnummern.
Vorher gab es nur „Schoß-Bücher“, die die Grundstückssteuer, das „Geschoss“, verzeichneten, die aber nur Grundstücke enthielten, für die Steuern gezahlt wurden. Da öffentlichen Gebäude, z. B. das Rathaus und die Schulen, nicht versteuert waren, fehlten sie teilweise in diesen Verzeichnissen. Auch Grundstücke, die nach Bränden brach lagen waren oft nicht versteuert und damit nicht erfasst.
Vor 1786 waren Hausmarken die einzige Möglichkeit, die Lage eines Grundstücks zu bezeichnen. Eine ganze Reihe von diesen Hausmarken haben sich bis heute in unserer Altstadt erhalten.
Um die Probleme zu verstehen, die die Hausnummerierung von 1786 im Laufe der Zeit mit sich brachten, sind einige Informationen zur früheren räumlichen und rechtlichen Gliederung unserer Stadt notwendig.
Neben der „Dom-Freiheit“ und der „Rats-Stadt" gab es noch ein einzelne Häuser, Häusergruppen und Baustellen, die außerhalb der Mauern dieser beiden Stadtteile lagen. Diese wurden im Brandversicherungskataster von 1786 als „Vorstädte“ bezeichnet.
Dem Rat zu Naumburg, also der städtischen Verwaltung, unterstand ein Gebiet, das als „Rats-Vorstadt" bezeichnet wurde. Es befand sich auf den Grundstücken des ehemaligen Moritzklosters, die die Stadt 1544 vom sächsischen Kurfürsten gekauft hatte. Dort entstanden dann die „Neuengüter“.
Die „Domfreiheit" bestand aus mehreren, rechtlich unterschiedlichen Häusergruppen. Neben der eigentlichen „Domfreiheit", die vom „freiheitischen Rathaus" aus verwaltet wurde, gab es innerhalb der Ummauerung die „Domkapitularischen Syndikats- und Freihäuser" wozu u. a. die beiden Kirchen, die Curien (Wohnhäuser der Domherren), die Torhäuser, Schule und Hospitäler gehörten. Außerhalb der Ummauerung lag die „Dompropstei-Vorstadt", die unter der Verwaltung des Dompropstes stand.
Weiterhin gab es drei „Amts-Vorstädte“ die aus Häusern und Häusergruppen bestanden, die in der heutigen Michaelisstraße, Schulstraße sowie im Bereich der heutigen Georgenstraße und -gasse auf dem Gebiet des früheren Georgenklosters lagen. Diese waren Eigentum des Kurfürsten und wurden durch einen eingesetzten Amtmann, der auch die Gerichtsbarkeit ausübte, verwaltet.
Schließlich waren da noch die sogenannten Pfortenhöfe, elf Grundstücke in der heutigen Michaelisstraße und auf den Neuengütern, die zu dem Besitz des Kloster Pforte gehörten und vom dortigen Schulamt verwaltet wurden.
Zählt man alle diese genannten Stadtteile zusammen, kommt man auf acht, wenn man die „Rats-Stadt“ und die „Rats-Vorstadt" als Einheit betrachtet. Im Brandversicherungskataster von 1786 nahm man nun in jedem dieser Stadtteile die Nummerierung von 1 beginnend vor. Damit, so war im Kreisblatt vom 17.01.1824 zu lesen „zerfällt noch jetzt die Stadt bei einer Anzahl von nur 1212 mit Nummern versehenen Gebäuden in folgende Nummerierung: Nr. 1-599 die innere Stadt incl. Scheunen und Niederlagen, Nr. 600-752 die Rats-Vorstadt, Nr. 1-180 die Domfreiheit, Nr. 1-34 die domkapitularischen Syndikatshäuser, Nr. 1-96 die Dompropstei-Vorstadt, Nr. 1-56 die Amtsvorstadt Weithgarten, Nr. 1-54 die Amtsvorstadt Michaelisgasse, Nr. 1-29 die Amtsvorstadt Georgenberg und Nr. 1-11 die Pfortenhöfe.“
Man stelle sich das Chaos vor, dass dadurch entstand, weil 8-mal die Nr. 1-11, 7-mal die Nr. 12-29 usw. existierten. Und so wurde in der eingangs genannten Bekanntmachung formuliert: „Es ist nicht zu verkennen, dass eine solche, unter den gegenwärtigen Verhältnissen ganz zwecklose Verschiedenheit in der Haus-Nummerierung einer und derselben Stadt zu manchen Widersprüchen, Unrichtigkeiten und Verdunklungen Anlass geben muss.“
Allerdings beruhte das Nummernsystem von 1786 noch auf den bis 1815 für Naumburg geltenden sächsischen Gesetzen und Verordnungen. Mit dem Übergang Naumburgs an Preußen traten aber nach und nach die preußischen Gesetze in Kraft. So auch die „Allgemeine Städteordnung“ vom 17. März 1831, nach der die 24 neu zu wählenden Stadtverordneten aus allen bisherigen Stadtteilen zu kommen hatten. Mit deren Amtseinführung am 6. Februar 1832 wurden die früher getrennten Stadtteile offiziell vereinigt.
Mit der neuen Hausnummerierung von 1824 wurde dieser Vereinigung gewissermaßen vorgegriffen, denn „die neue Haus-Nummerierung soll dergestalt zur Ausführung gebracht werden, dass sie nach einem darüber aufgenommenem Plane mit dem Rathaus ihren Anfang nimmt und in einer fortlaufenden Reihenfolge durch alle Teile der Stadt und Vorstädte ausgeführt wird, ohne auf die jetzt vorhandenen Haus-Nummern irgend eines Stadtteils einige Rücksicht zu nehmen. Es sind deshalb die neuen Nummerntafeln in gleichmäßiger Form bereits angefertigt worden und sie werden in Kurzem den betreffenden Hausbesitzern einzeln gegen Zahlung von 2 ½ Silbergroschen ausgehändigt und sodann durch besonders dazu abgeordnete Personen über den Haustüren angeschlagen werden.“
Das neue Nummernsystem beseitigte zwar die Probleme mit im Stadtgebiet mehrfach vorkommenden gleichen Hausnummern, aber man kann nur staunen, dass man damals nicht schon die neuen Probleme, die man damit schuf, erkannte. Denn was sollte mit neu bebauten Grundstücken oder bei Zusammenlegung bzw. Teilung von Grundstücken geschehen?
Um nicht durch „Nachnummerierung“ neu bebauter Grundstücke die Übersicht völlig zu verlieren, begann man mit einem Buchstaben-Zusatz in alphabetischer Folge an eine der beiden benachbarten Hausnummern. So gab es z. B. irgendwann die Nummern 1888a bis d. Wurde nun, um bei diesem Beispiel zu bleiben, das Grundstück 1888b geteilt, fügte man der Nr. 1888b einen zweiten Buchstaben, und zwar den gleichen hinzu, es entstand also Nr. 1888bb. Nach Teilung von 1888bb erschuf man die Nr. 1888bbb usw. Wer sollte da noch durchblicken? Im Laufe der Zeit war also eine andere Nummerierung unbedingt erforderlich. Da zwischenzeitlich neue Straßen und Zufahrtswege entstanden, mussten dafür auch neue Bezeichnungen gefunden werden.
Im Protokoll der Stadtverordnetenversammlung vom 8. Februar 1876 ist dann auch zu lesen: „Der Magistrat beantragt, drei Mitglieder der Versammlung zu einer gemischten Deputation behufs einer beabsichtigten neuen Hausnummerierung resp. Bezeichnung der Straßen und Plätze zu erwählen.“ Dem Antrag wurde stattgegeben und bis zum Frühjahr 1877 ein neuer Plan erarbeitet und der Königlichen Regierung zu Merseburg zur Genehmigung vorgelegt.
Am 16. August 1877 wurde dann im Kreisblatt vom Magistrat folgendes bekanntgemacht: „Da die jetzt bestehenden Straßenbezeichnungen und Hausnummern in hiesiger Stadt vor etwa 50 Jahren eingeführt sind, so genügen dieselben in Folge der während dieser Zeit entstandenen verschiedenartigsten baulichen Veränderungen und insbesondere der zahlreichen, in der neueren Zeit ausgeführten Neubauten vielfach den geschäftlichen und Verkehrsverhältnissen nicht mehr, und wir haben deshalb mit Genehmigung der Stadtverordnetenversammlung und unter Zustimmung der Königlichen Regierung zu Merseburg beschlossen, verschiedene Straßenbezeichnungen innerhalb des alten Stadtbezirks zu ändern, dabei einzelne Hausgrundstücke anderen Straßen oder Plätzen, als zu welchen sie bisher gehörten, zuzuteilen, die außerhalb der alten Stadt entstandenen neuen Straßen mit besonderen Namen zu versehen, und die sämtlichen Grundstücke in der Weise neu zu nummerieren, dass dieselben in jeder Straße mit der Hausnummer Eins beginnen.“
Weiter wurde festgelegt, dass an sämtlichen Häusern der Stadt auf Kosten der Hausbesitzer Schilder aus emaillierten Gusseisen, welche die betreffende Hausnummer in weißer Schrift auf blauem Grund enthalten, unmittelbar über der Haustür auf eine leicht in die Augen fallende Weise angebracht werden müssen. Form und Größe der Schilder war vorgeschrieben, ein Muster wurde in einem Schaukasten an der Rathaustür ausgehangen.
Um einheitliche und allgemein geltende Prinzipien anzuwenden, wurde der Name „Straße“ bei größeren, „Gasse“ dagegen bei kleineren Straßen angewendet. So wurde z. B. aus der „Großen Salzgasse“ die „Große Salzstraße“, die „Kleine Salzgasse“ behielt ihren Namen. (Erst nach 1945 fielen die Bezeichnungen „Große“ und „Kleine“ weg. Trotzdem findet man heute noch solche Straßenschilder.)
Zur Abgrenzung der Plätze und größeren Straßen wurden die an die Plätze grenzenden Häuser diesen zugeteilt, beispielsweise kamen damit Häuser, die früher zur „Großen Salzgasse“ gehörten nun zum „Topfmarkt“ hinzu.
Auch gab es Änderungen von Straßennamen, um Verwechslungen auszuschließen, dadurch wurde u. a. aus dem „Weithgarten“ die „Schulstraße“. In dem Zusammenhang wurden auch die Namen „Wenzelsmauer“, „Jakobsmauer“, „Marienmauer“ und „Georgenmauer“ vergeben, die früher alle zu „Hinter der Mauer“ gehörten.
Außerhalb der Altstadt wurden u. a. folgende, heute noch geltende Namen zugeteilt: „Kösener Straße“, „Jenaer Straße“, „Weißenfelser Straße“, „Schönburger Straße“, „Grochlitzer Straße“ und „Gartenstraße“. Die 1946 so neu benannte „Thomas-Müntzer-Straße erhielt damals den Namen „Artilleriestraße“.
Das System von 1877, nach dem alle Grundstücke einer Straße mit der Nummer Eins beginnend nummeriert werden, hat seine Gültigkeit bis heute behalten, auch wenn es zwischenzeitlich noch mal Umnummerierungen gab. So ging man nach 1900 in einigen Straßen dazu über, der einen Straßenseite gerade und der anderen ungerade Nummern zu geben. Die Gründe dafür sind heute nicht mehr zu ermitteln. Und noch eine Besonderheit soll erwähnt werden, die nach 1900 auftrat. Einzelne Hausbesitzer, deren Grundstücke die Nummer „13“ trugen, beantragten eine andere Hausnummer. In diesen Fällen wurde die „13“ gegen die Nummer „12a“ ersetzt. Dort, wo gerade und ungerade Hausnummern auf verschiedenen Straßenseiten lagen, erhielt das Haus „13“ die Nummer „11a“.
Von der 1876 geforderten Einheitlichkeit der Beschilderung ist heute nicht mehr viel übrig geblieben. Man findet Schilder unterschiedlichster Arten und Beschriftung, einige sind schon fast 80 Jahre nicht mehr aktuell. Manchmal allerdings sucht man vergeblich nach einem Schild.