Naumburg im Zeichen der Luftfahrt

14. August 2024

Vor 100 Jahren lud der deutsche Luftfahrt-Verband zu einem „Flugtag auf den Saalewiesen bei der Henne“ ein. Dieser Werbetag für den Flugsport sollte „dem Publikum den technischen Stand der deutschen Flugindustrie vor Augen führen und Gelegenheit zu Flügen bieten.“

Schon vor dem 1. Weltkrieg hatte es beim Flugzeugbau eine rasante Entwicklung in Deutschland gegeben. Während des Krieges florierte dann das Geschäft dieses Industriezweiges besonders, weil man Flugzeuge als Waffe einsetzen konnte. Deshalb mussten nach dem 1919 von der Reichsregierung unterzeichneten Versailler Vertrag alle Kriegsflugzeuge abgeliefert bzw. zerstört werden, der Neubau war verboten. Nur der Bau von Passagierflugzeugen war erlaubt, wenn sie nicht zu groß waren. So entstand in den Junkers Flugzeugwerken 1919 das erste Verkehrsflugzeug und zwar ganz aus Metall, die Junkers F 13, eine „bequeme Luft-Limousine“, wie sie auch genannt wurde.

Im Tageblatt wurde für den Flugtag angekündigt, dass neben Passagierflügen über Stadt Naumburg und Umgebung verschiedene fesselnde Darbietungen geplant sind, wie „Vorführung von Luftkämpfen, Loopings, Abtrudeln, Zielwurf aus dem Flugzeug, Abwurf von Brieftauben für Nachrichtendienst, Luftaufnahmen aus dem Flugzeug und Kino-Luftaufnahmen.“ Große Anziehungskraft, so hieß es weiter, „wird ferner die in mehreren Zelten untergebrachte Flugzeug-Ausstellung ausüben, die den Besuchern neben den drei großen, für die Rhön-Segelwettbewerbe 1924 bestimmten Segelflugzeugen noch Einzelteile, Modelle von Segelflugzeugen, Modelle von Motorflugzeugen, Luftaufnahmen und Kriegserinnerungen alter Frontflieger zeigen wird. Die Passagierflüge, die den Fluggästen das Saaletal in seiner Naturschönschönheit bis Jena, Weimar usw. zeigen, werden während des ganzen Tages von 9 Uhr vormittags bis 7 Uhr nachmittags, veranstaltet. Die Ortsgruppe Naumburg a. S. des Deutschen Luftfahrtverbandes betont, dass eine mit größtem Luxus ausgestattete, geschlossene Junkers Metall-Limousine (6sitzig), zur Verfügung steht, in der ein Flug tatsächlich ein Hochgenuss ist und auch nervösen, empfindlichen Personen keinerlei Beschwerden bringt, da für absolut ruhigen Flug gesorgt ist. Einige Plätze für einen Fernflug Dresden—Leipzig—Naumburg sind noch zu vergeben. Die Maschine startet Sonntag 8 Uhr vormittags in Dresden. Fünf Freiflüge Naumburg—Dresden werden durch eine Lotterie ausgespielt.“
Für die anderen o. g. Darbietungen wurde ein „Mark-Eindecker, wie sie im Krieg als Jagdeinsitzer verwendet wurden“, erwartet. Als „Flugplatz“ hatte man eine Fläche ausgewählt, „die begrenzt wird durch die Straße nach der Hennenbrücke und den Promenadenweg nach der Großjenaer Fähre auf den Schmalseiten und durch die Saale und den Eisenbahndamm auf den Längsseiten. Der Zugang zum Fluggelände erfolgt nur von der Hallischen Straße—Hennenbrücke aus.“

Am 29. Juni war es dann soweit. Folgender Bericht erschien am nächsten Tag in der Zeitung: „Nach durchdringendem Regen ein goldner Sommertag. Lebhafter Wind kräuselt die Blätter des Kleefeldes und fächelt den Spaziergängern die von Sonnenhitze brennenden Wangen. Die Hennenstraße war schon vormittags belebt von Fuß- und Fahrverkehr wie sonst selten. Alles strebt den Saale-Wiesen zu — froh gestimmt, erwartungsvoll. Bald ist der Flugplatz erreicht, das gemeinsame Ziel. Zuvor aber gebieten vor der Hennenbrücke einige Ordner ein Halt, auch den zahlreichen Autos, und verlangen einen Obolus für das Nähertreten. Nun klingt den Ankömmlingen lockende Musik entgegen, die unvermeidlichen Rostbratwürste entsenden ihre Düfte, Stände mit den verschiedensten Genusswaren reihen sich an. Die Menschen sind bis zur Postenkette der grünen Polizei vorgedrungen, die das eigentliche Flugfeld vom allgemeinen Verkehr freihält. Östlich der Straße auf einem Wiesenstück stand das Schauzelt, eine Anzahl von Lebensmittelverkaufsständen waren dort angesiedelt, Feuerwehr und Sanitätskolonne hatten dort ihren Platz und eine Musikkapelle in Uniform sorgte am Vormittag für Unterhaltung; der Landungs- und Startplatz befand sich auf dem größeren Wiesenstück westlich der Straße, das leider immer noch von zu viel anderer Anbaufläche eingeengt ist. Sonst hätte man den Landungspunkt noch weiter weg von der Straße und der an ihr hinführenden Hochspannungsleitung legen können.“

Programmgemäß traf der Mark-Einsitzer als erstes Flugzeug von Leipzig kommend auf einem Kraftwagen ein. Die Junkers Limousine wurde gegen 11 Uhr über der Schönburg sichtbar, „nachdem sie in herrlichstem Fluge von Dresden das Elbtal aufwärts die Luftlinie Schandau-Naumburg in einer Stunde zurückgelegt hatte. Bei schönstem Sonnenwetter war der Flug in vollkommener Ruhe und größter Sicherheit vor sich gegangen und hatte bei den 4 Passagieren die größte Zustimmung ausgelöst. Leider wurde die Maschine, die vorschriftsmäßig im Gleitflug zur Landung überging, kurz vor dem Aufsetzen auf dem Boden von Abwind gefasst und auf den Boden geworfen. Durch den Aufschlag wurde das Fahrgestell zerstört und ein Passagier verletzt. Erfreulicherweise ist die Verletzung nicht lebensgefährlich. Die übrigen Fluggäste erlitten nur leichte Hautabschürfungen.“
Der Unfall machte den Hoffnungen derer ein Ende, die gern einen Rundflug unternommen hätten. Das Schaufliegen des Mark-Einsitzers musste auch aufgeschoben werden, da der Flugzeugführer infolge des Unfalls und der zunehmenden Windstärke in letzter Minute einen Start ablehnte.

Das Fazit im Tageblatt lautete: „Der Naumburger Flugtag hat — wenn ihm die Umstände auch nicht hold waren und er deshalb nur in seinem ersten Teil durchgeführt werden konnte — dennoch großen Widerhall in der Bevölkerung geweckt. Möge bei der beabsichtigten Wiederholung ein günstigeres Geschick obwalten.“

Und tatsächlich nahm man im Herbst einen zweiten Anlauf. „Der Naumburger Luftfahrtverein hatte dafür gesorgt, dass die Naumburger Einwohnerschaft für die Enttäuschung, die sie an dem vor einigen Wochen angesetzten Flugtag auf den Saalewiesen gehabt hatte, entschädigt wurde. Die ganze Veranstaltung wurde überhaupt auf eine weitaus großzügigere Grundlage gestellt. Das damalige Programm wurde durch einen Ballonaufstieg, Modellwettfliegen und einen Fallschirmabsprung sehr erweitert.“ Als Fluggelände hatte man diesmal ein Stück des alten Exerzierplatzes hinter dem Buchholz gewählt, dass „begrenzt wird durch den Randweg am Buchholz Naumburg-Boblas, den Telegraphenstangenfeldweg, welcher von dieser Straße abzweigt und dem nördlichen Feldweg.“ Die Bauern, die das Gelände gepachtet hatten, wurden darauf aufmerksam gemacht, dass die dortigen „Stoppelfelder jetzt keinesfalls geschält, gepflügt oder mit Mist belegt werden dürfen, da die Flugzeuge andernfalls Gefahr laufen, zu verunglücken oder in dem gelockerten Erdreich zu versinken.“
Am 20. September, dem ersten Tag der Veranstaltung, kamen mehrere Flugzeuge in Naumburg an, die mit Passagieren in Berlin und Weimar gestartet waren. Vor der Landung drehten sie mehrere Ehrenrunden über der Stadt. Da vorab angekündigt worden war, dass Flugblätter „mit Anweisungen auf Preise für den Finder“ abgeworfen werden, war das Interesse groß. So hatte u. a. die Mitteldeutsche Likörfabrik Julius Schumann bekannt gegeben, dass sie eine Anzahl Flaschen ihrer Erzeugnisse als Preise aussetzt und das Naumburger Tageblatt vergab Monats- und Wochenabonnements. Am Abend stieg nochmals ein Doppeldecker auf, um über der Stadt seine Kunststücke im waghalsigen Abtrudeln und gefährlich aussehenden Rückenflügen zu zeigen. „Wohl jeder, der Beine hatte, sagte sich, da musst du morgen hin, das muss man gesehen haben.“ Im Saal der Loge wurde eine Reihe von Filmen mit interessanten Fliegerthemen vorgeführt.
Der nächste Tag, schrieb das Tageblatt, „brachte bis auf kräftigen Wind im allgemeinen günstiges Flugwetter, und so kam es, dass mancher, der sonst am Sonntag etwas länger schläft, sich schon um 8 Uhr aus den Federn riss, um dem Ballonausstieg auf der Vogelwiese beizuwohnen.“ Um den Ballon zu füllen, hatte man von der Gasanstalt eine Leitung zur Vogelwiese gelegt. „Langsam, mit ziemlicher Verspätung, bildete sich hier aus dem wirren Tuch-und Netzhaufen eine Halbkugel, die nach und nach zu einer großen Ballonkugel auswuchs. Der infolge des sehr böigen Wetters von 40 Mann gehaltene Ballon wurde mehrfach fast bis auf den Erdboden gedrückt. Nachdem der Ballonfahrer sich im Korb häuslich eingerichtet hatte, schied er mit einem dankbaren etwas sandigen Gruß vom Erdboden.“ Am Boden wurde der Ballon von Motorrädern und Kraftwagen verfolgt, die jeder für sich versuchten, als erste den später hinter Markranstädt gelandeten Ballon zu erreichen. Die Sieger in den beiden Kategorien erhielten vom Naumburger Luftfahrtverein jeweils einen Ehrenpreis.
Inzwischen waren die Menschenmassen zum Flugplatz geströmt. Hier sah man die verschiedenen Flugzeuge ganz aus der Nähe. Für die Passagierflüge stand eine mit einem 200 PS starken Maybach-Motor ausgestattete Albatros-Limousine zur Verfügung. Die sehr luxuriös, sogar mit WC eingerichtete Kabine bot Raum für 5 Personen. Auch gab es einen Doppeldecker der Dietrich-Gobiet-Werke in Kassel, mit einem 70 PS-Motor. Er diente sowohl zu Passagierflügen, als auch zu Schau- und Kunstflügen. „Sein Führer zeigte bei einer großen Sicherheit und ausgezeichneten Beherrschung der Maschine die fabelhaftesten Leistungen. Selbst Damen konnten es sich nicht versagen, mit ihm Loopings zu drehen und sich abtrudeln zu lassen.“
Während die Passagier- und Schauflüge am Nachmittag fortgesetzt wurden, startete das Modell-Wettfliegen. Im Boden- bzw. Handstart wurden Wettbewerbe in verschiedenen Disziplinen absolviert.
Den Höhepunkt der Veranstaltung bildete der mit großer Spannung erwartete Fallschirm-Absprung. Darüber konnte man am nächsten Tage folgenden Augenzeugenbericht im Tageblatt lesen: „Wir sitzen mit dem Fallschirm-Piloten in der Albatros-Limousine, deren Tür entfernt worden ist. Brausend knattert der Motor an. Langsam fahren wir an das andere Ende des Startplatzes, um nach einem scharfen Bogen mit Vollgas gegen den Wind aufzusteigen. Es ist ein ganz eigenartiges Gefühl, wie der Boden langsam unter uns hinweg sinkt. Unter uns liegt das Fluggelände mit seinen vielen Tausenden von Menschen mit seinen immer kleiner werdenden Zelten. Langsam weitet sich der Horizont und unser Blick schweift in immer größere Fernen. Der Höhenmesser zeigt 400 Meter. Wir befinden uns über Schulpforta und im weiten Bogen geht es über die Saale nach Naumburg. Klein, wie aus der Spielzeugschachtel genommen, stehen die Häuser. Langsam hat sich das Flugzeug immer höher geschraubt und über Schellsitz-Wethau kommen wir in 800 Meter Höhe über dem Flugplatz wieder an. Der Fallschirmpilot macht sich bereit, das Fallschirmpaket auf dem Rücken. Ein letzter Gruß und von unseren ängstlichen Blicken verfolgt, lässt er sich in die Tiefe fallen. Weiß und rein wie ein großer Pilz entfaltet sich der Schirm und taumelt langsam zur Erde nieder. Wir haben alle den Eindruck gehabt, dass er eine gute Landung hatte, und so können wir es kaum begreifen, als wir nach der Landung erfahren, dass dem nicht so war.“
Was war geschehen? Der „geprüfte und polizeilich zugelassene Fallschirmpilot“, der schon 50 Sprünge unfallfrei absolviert hatte, berichtete später über seine Landung, dass er die Absicht hatte, dicht über der Zuschauermenge hinweg zu schweben und 10 Meter von ihr entfernt nieder zu gehen. Als er merkte, dass das wegen des böigen Windes nicht gelingen würde, zog er geistesgegenwärtig die Reißleine, um noch vorher auf einem Kartoffelacker zu landen. Ein Windstoß riss ihn aber noch einige Meter weiter, so dass er auf das Verdeck eines der dort stehenden Wagen fiel. Nach kurzer Ohnmacht kam er wieder zur Besinnung und bei der folgenden Untersuchung stellte man nur eine leichte Schlüsselbeinverletzung fest.

So ging der zweite Flugtag vor 100 Jahren zwar nicht unfallfrei aber doch glücklich zu Ende. „Zu dieser erfolgreichen Durchführung seines Vorhabens muss man dem hiesigen Luftfahrtverein und seine Leitung beglückwünschen“ stand dazu im Tageblatt. „Sicher ist durch diese Veranstaltung Interesse und Verständnis für das Flugwesen bei uns außerordentlich gefördert worden, und das wird sicherlich dem Vereine selbst wieder zugute kommen.“

 

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