Wie Naumburgs „gute Stube“ ihr heutiges Aussehen erhielt
19. September 2024
Schaut man vom Wenzelsturm auf Naumburgs „gute Stube“, den Marktplatz hinab, kann man sein heutiges Aussehen am besten erkennen: schachbrettartige Pflasterung und Bäume an drei Seiten, 13 Kugel-Robinien und eine Linde.
Rundherum ist die Straße, in der noch die seit rund 50 Jahren nicht mehr benutzten Straßenbahnschienen liegen, mit Schlackesteinen gepflastert. Doch wie sah der Platz früher aus? Von Sixtus Braun (1550-1614), Stadtschreiber, Syndikus und Oberbürgermeister von Naumburg können wir aus seinen „Naumburger Annalen“ erfahren, dass der Markt und der Steinweg im Jahr 1498 gepflastert wurden. Wichtiger war den Naumburgern damals wohl die Jakobs- und Mariengasse, die schon 1380 Pflaster erhielten.
Da es keine Kanalisation und Müllabfuhr gab, dürfte die Überquerung des Platzes nicht immer gefahrlos möglich gewesen sein, auch wenn eine Reinigung prinzipiell vorgesehen war. Wie Friedrich Hoppe (1879-1959), Naumburger Heimatforscher und Museumsleiter schrieb, hatte diese Aufgabe ursprünglich der Totengräber.
Im Jahre 1713 gab es einen ersten Versuch, den Marktplatz zu beleuchten, der am Widerstand des Stadtrates scheiterte. Erst 1811 wurde dann dauerhaft eine Öl-Laterne auf dem Markt aufgestellt. Sie bestand aus einem blechernen “Laternenkasten” mit Glasscheiben, der auf einer Eichenholzsäule angebracht war.
Mit der Inbetriebnahme der Naumburger Gasanstalt wurden am 10. Oktober 1858 Straßen und Plätze erstmals mit Gaslaternen beleuchtet. Im Kreisblatt war zu lesen „Den Glanzpunkt bildete der Marktplatz, wo außer den Laternen an 4 Ecken je ein großer Stern, in der Mitte aber auf dem großen Kandelaber der preußische Adler in Gasflämmchen prangte.“
Auch wenn um 1850 eine „Umpflasterung“ des Marktes erwähnt wird, bleibt die Frage, wie man sich die Beschaffenheit dieser Befestigungsart vorstellen kann. Emil Kraatz, von 1889 bis 1913 zunächst erster, dann Oberbürgermeister Naumburgs hilft uns in dieser Frage weiter. Er schildert in seinem 1914 erschienenem Buch „Aus dem Leben eines Bürgermeisters — Erinnerungen, Erfahrungen und Betrachtungen“ in einer Einleitung „Naumburg vor meinem Amtsantritt“ den Zustand der Stadt Naumburg. „Das Pflaster der inneren Stadt — soweit solches überhaupt vorhanden - war wohl an die hundert Jahre alt und bestand aus faustgroßen Kieselsteinen, die man dem Flusse im Laufe der Zeit abgewonnen hatte. Das Laufen auf diesem Pflaster war ja mit einiger Schwierigkeit verknüpft, immerhin schützte es bei Regenwetter, wenn es nicht zu arg war, doch wesentlich, da die Zwischenräume zwischen den einzelnen Steinen breit und tief waren, so dass das Wasser leicht dazwischen abfließen konnte.“ Diese Art der Pflasterung traf auch auf den Markt zu. „Vom Marktplatz, der eine hängende Fläche von Osten nach Westen (von der Marienstraße zum Topfmarkt) bildet, ergoss sich (nach Regen) das Wasser mit reißender Gewalt von oben nach unten, durch im Pflaster eingelassene Mulden wurde ihm der Weg gewiesen. Es richtete regelmäßig in den hier auf den Markt mündenden Straßen Unheil an“. Es fehlte auch an einer „geordneten Kanalisation“. Das änderte sich schon in den folgenden Jahren. In einer Polizeiverordnung vom 11. Oktober 1889 wurde bereits für alle vorhandenen und zukünftig errichteten Kanäle ein Anschlusszwang verordnet. Bis Mitte 1891 hatten dann der Markt und alle angrenzenden Straßen eine Kanalisation.
Auf einer Stadtverordnetenversammlung im Juni 1892 wurde über den Zustand der Straßen diskutiert. Da gleichzeitig die Verlegung der Schienen für die Straßenbahn begann, war bei der Planung von Straßenpflasterungen darauf Rücksicht zu nehmen. Man beschloss u. a., „um den Markt herum soll eine 10 m breite Fahrstraße entstehen, die aber nach innen weder Bordsteine, noch Bäume bekommen darf und für Fußgänger sollen Mosaikwege über Kreuz angelegt werden.“
Dieser Beschluss vom 2. Juni wurde durch den Magistrat in Windeseile umgesetzt. Man begründete diese Eile später so: „die Ausführung der Pflasterung sei eilig gewesen, weil man einerseits den Markt sofort habe aufreißen müssen, um das Pflaster für die Straßenbahnpflasterung zu verwenden und weil andererseits der Markt bis zum Kirschfest wieder fertig sein müsse.“ Entgegen des Beschlusses verlegte man allerdings doch Bordsteine, weil die Polizei am 7. Juni verfügt hatte, „im öffentlichen Interesse müsse der Fahrdamm, um das Überfahren zu verhindern, durch Bordschwellen höher gelegt werden.“ Diese Verfügung wurde auf der nächsten Stadtverordnetenversammlung heftig gerügt. Man sprach der Polizei das Recht ab, der Stadt vorzuschreiben, auf welche Weile sie die gewünschte Sicherheit herstelle und beschloss einstimmig, „die Polizeiverfügung als gesetzwidrig zu erachten und wegen der bereits entstandenen Unkosten sich Ansprüche vorzubehalten.“ Der Streit verlief im Sande, weil der Magistrat diesen Beschluss einfach ignorierte und die Versammlung später nicht mehr darauf bestand.
Auch bezüglich der Bepflanzung des Marktes wurde der Beschluss vom 2. Juni nicht befolgt. Am 16. Juli nahm die Stadtverordnetenversammlung zur Kenntnis, dass die Topfmarktanwohner dem Magistrat erklärt haben, dass sie mit der Bepflanzung ihres Marktes zufrieden seien. Das bewirkte wohl ein Umdenken in dieser Frage. Im November erfuhr man aus dem Kreisblatt, „nachdem die Bepflanzung des Topfmarktes mit Bäumen bei den Anwohnern und Passanten dieses Platzes so großen Beifall gefunden hat, wird jetzt auch mit der Bepflanzung des Hauptmarktes in ähnlicher Weise vorgegangen. Ohne Zweifel wird auch dort die Anlage zur Verschönerung des Platzes gereichen.“ Und so geschah es, der Markt erhielt wohl erstmals in seiner Geschichte eine Bepflanzung mit Bäumen, wobei die Art der Bäume unglücklich gewählt war, wie sich später zeigte.
Den neu gepflanzten Bäumen, es waren Platanen, gefiel es auf dem Markt, sie wuchsen und wuchsen. Schon reichlich 10 Jahre später hatten sie, wie man auf einer Ansichtskarte aus der damaligen Zeit sehen kann, eine Höhe von mehreren Metern erreicht. Die Bäume, die auch auf der Westseite des Marktes, also direkt vor dem Rathaus gepflanzt wurden waren, begannen nach und nach die Sicht auf die Häuser um den Markt herum zu verdecken. Und so kam, was zu erwarten war, im Frühjahr 1914 wurde eine Anzahl der Bäume gefällt. Im Tageblatt vom 24.04.1914 liest sich das so: „Unsere Bauernfrauen werden sich am Sonnabend wundern, wenn sie auf den Markt kommen. Sie werden ihn sehr gelichtet finden, denn ein Teil der „schattenspendenden“ Platanenbäume ist gefallen. Die Behörde hat sich der Ansicht nicht verschließen können, dass die Zeit gekommen war, etwas von den Bäumen wegzunehmen, sowohl mit Rücksicht auf die Beschwerden von mehreren Anwohnern wie auch den erreichten Umfang der Bäume, die nach und nach aus einer Verzierung des Marktplatzes zur beherrschenden, den Reiz der Bauwerke verhüllenden Ansicht geworden sind.“ Die plötzliche Baumfällaktion hatte auch noch ein Nachspiel in der Stadtverordnetenversammlung. Der Magistrat erklärte, „durch die immer höher wachsenden Bäume wurden die schönen Architekturbilder verdeckt und auch die Geschäftsinhaber geschädigt.“ Außerdem hätten die Baudeputation und die Flur- und Verschönerungsdeputation dieser Maßnahme zugestimmt.
Im Oktober 1923 hielt die elektrische Beleuchtung Einzug auf dem Markt. „Da Gaslicht sich wesentlich teurer stellt als das elektrische Licht, so wird sich die Errichtung der Maste und die Umänderung in nicht zu langer Zeit bezahlt machen, war zu lesen.
Inzwischen waren die Platanen auf dem Markt weiter gewachsen. Da diese, wie berichtet wurde, „immer größere Kronen entwickelten, die allmählich gegenüber den Häusern des Marktes das Übergewicht bekamen, und auch mit ihren weitverzweigten starken Wurzeln die Kanalleitungsrohre unter dem Pflaster zu zerstören begannen“, mehrten sich die Stimmen, die Bäume ganz zu entfernen. Da kam es gerade recht, dass man, auch in Vorbereitung auf die 950-Jahr-Feier der Stadt, Ende April 1927 beschloss, u. a. den Markt neu zu pflastern.
Im Juli 1927 begannen die Arbeiten. Da geplant war, den Fahrdamm rings um den Marktplatz um 1,5 Meter zu verbreitern wurden weitere neun auf dieser Fläche stehenden Platanen entfernt. Die Pflasterung erfolgte „schachbrettartig, d. h. zwischen 1,5 Geviertmeter messenden Kleinsteinpflaster- Würfeln wurden schmale, steinbreite Schlackesteinstreifen gelegt.“ Die Steinborde rund um den Innenplatz wurden entfernt, stattdessen wurde ein schwach zum tieferliegenden Pflaster des Fahrdammes geneigter Randstreifen angelegt, um Fahrzeugen das Befahren des Platzes zu erleichtern. Im Rahmen dieser Arbeiten wurden die Bürgersteige vor dem Rathaus, vor den Häusern auf der gegenüberliegenden Seite und vor dem Schlösschen verbreitert und das Straßenbahngleis an der Ostseite des Platzes in die Mitte des Fahrdamms verlegt. 1928, als man genügend Schlackesteine zur Verfügung hatte, wurde damit der Fahrdamm rund um den Markt gepflastert.
Anfang September 1927 beriet dann die Stadtverordnetenversammlung über die Bepflanzung des Marktplatzes. Es sollten an der Süd-, Ost- und Nordseite des Marktplatzes eine Doppelreihe von Kugelahorn angepflanzt werden, insgesamt 46 Bäume zum Stückpreis von 18 Reichsmark. Zuzüglich der Nebenkosten waren insgesamt 1.058 Reichsmark erforderlich. Trotz Einwänden, dass „die neuen Bäume viel zu dich vorgesehen seien, ein Verkehrshindernis bilden würden, mit fallendem Laub die ganze Umgebung beschmutzen, und schließlich ein freier Marktplatz schöner aussähe als ein bepflanzter“ wurde die Beschlussvorlage mit großer Mehrheit angenommen.
Mit Verwunderung konnte man allerdings Anfang November 1927 beobachten, dass die vorgesehenen Pflanzlöcher verfüllt und gepflastert wurden. Vier Wochen später gab es in der Stadtverordnetenversammlung dann erneut eine Diskussion zu diesem Thema. Hier einige Argumente der Gegner einer Bepflanzung: „Von den 900 Jahren des Bestehens unserer Stadt war der Marktplatz 870 Jahre nicht bepflanzt; die Bäume bieten im Winter wegen ihres dürren Geästs einen hässlichen Anblick; die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wolle keine Marktbepflanzung und auf die ‚kleinen Kläffer‘, die sie haben wollen, brauche man nicht zu hören.“ Man stellte den Bepflanzungsbeschluss einstweilen zurück und sprach in den Folgejahren nie wieder darüber.
Dem technischen Fortschritt verschloss man sich hingegen nicht, Ende Mai 1929 wurde an der Nordseite des Marktes eine „öffentliche Fernsprechstelle“, sprich eine Telefonzelle errichtet.
Bis in die 1950iger Jahre blieb der Markt baumlos, dann wurde die Linde neben dem Marktbrunnen gepflanzt. Erst nach 1990 gab es scheinbar wieder Überlegungen, den Markt stärker zu begrünen. Interessierte Stadträte bildeten damals eine Arbeitsgruppe, allerdings ergebnislos. Ab dem Herbst 1995 wurden die Planungen dann konkreter, Bäume mit kugelrunder Krone sollen gepflanzt werden. "Haushaltsmittel sind dafür auch schon vorgesehen" hieß es im Februar 1996. Ende März wurde ein Pflanztermin angesetzt. Für die Bäume hatten Mitglieder des Stadtforums gespendet. Doch dann entschied sich der Technische Ausschuss gegen die Pflanzung. Die Abgeordneten hatten Bedenken in finanzieller Hinsicht und wie ihre Kollegen knapp 70 Jahre früher die Befürchtung, dass der Blick auf die Marktfassaden beeinträchtigt würde. Vier Wochen später hatten sich die Befürworter der Bepflanzung dann doch noch durchgesetzt. Im Tageblatt war zu lesen: „Nun hat der Marktplatz wieder Bäume. An Ost- und Nordseite wurden jetzt insgesamt acht der 15 Jahre alten kleinwüchsigen Bäume durch die Firma Kügler gesetzt. Verschiedene Sponsoren, darunter das Naumburger Tageblatt und Susanne Erb, die jeder einen Baum stifteten, machten die Pflanzaktion nach einigem hin und her möglich.“
Nach Expertenmeinung wurden bei der Pflanzung 1996 allerdings Fehler gemacht, die nach nunmehr knapp 30 Jahren deutliche Schäden an den Marktbäumen zur Folge haben. Deshalb sind Nachpflanzungen erforderlich, die bei Einhaltung der geltenden Vorschriften allerdings um 10.000 Euro pro Baum kosten. Dank einer Spende von Mike Eberle konnte im Frühjahr eine erste neue Kugel-Robinie auf dem Markt gesetzt werden. Bleibt zu hoffen, dass sich weitere Spender finden.