Der Weg zur Eingemeindung des Dorfes Grochlitz
20. November 2025
Vor 120 Jahren wurde das östlich von Naumburg gelegene kleine Dorf Grochlitz nach Naumburg eingemeindet. Bevor wir dazu genauer kommen, wollen wir einen Blick zurück auf die Geschichte des heutigen Naumburger Stadtteils werfen.
Das Dorf Grochlitz war eine der zahlreichen sorbisch-wendischen Siedlungen, die es früher hier in der Region gab. Der daher rührende Ortsname Grocholici wird von Sprachforschern als "zur Sippe des Erbsenmannes gehörig" gedeutet. Die Einwohner des Ortes lebten vermutlich vorrangig vom Fischfang.
Die ersten Bewohner sollen Hörige verschiedener Herren gewesen sein, also Menschen, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem Grundbesitzer standen, dessen Land bearbeiteten und verpflichtet waren, diesem Abgaben und Frondienste zu leisten. Im Jahre 1030 kam das Dorf in den Machtbereich des Naumburger Bischofs und gehörte fortan dem Domkapitel. Die Einwohner waren damit der Domprobstei zins- und lehnspflichtig.
Verwaltungstechnisch gehörte Grochlitz seit dem 16. Jahrhundert zum bischöflichen Amt Naumburg. Nach dem Tod des letzten Naumburger Bischofs Julius von Pflug 1564 ging das Hochstift mit seinen Ämtern an den Kurfürsten August I. von Sachsen als Administrator über. Von 1656/57 an gehörte es dann zum Sekundogenitur-Fürstentum Sachsen-Zeitz. Als dessen letzter Herzog Moritz Wilhelm 1718 starb, fiel das Herzogtum an das Kurfürstentum Sachsen zurück, woraus 1806 das Königreich Sachsen wurde. Nach Napoleons Niederlage löste man 1814 das Naumburger Stiftsgebiet als Teil des Königreichs Sachsen auf. Gemäß Beschluss des Wiener Kongresses im Jahr 1815 musste das mit Napoleon verbündet gewesene Königreich Sachsen einen großen Teil seines Gebietes, darunter das Amt Naumburg, an das Königreich Preußen abtreten. Es wurde 1818 dem neu gebildeten Kreis Naumburg im Regierungsbezirk Merseburg der Provinz Sachsen zugeteilt.
Die Grochlitzer hatten also im Laufe der Jahrhunderte viele Herren. Über sie selber ist aber aus jener Zeit nicht viel überliefert. Bekannt ist aber, dass sie auch von Krankheiten und Kriegen nicht verschont blieben. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde der Ort mehrmals von der Pest heimgesucht. Eine Ruhrepidemie im Jahr 1617 überlebten nur 11 Personen und auch das zwischen 1806 und 1814 mehrmals auftretende Nervenfieber und die Mitte des 19. Jahrhunderts hier ausbrechende Cholera forderte viele Opfer.
Als 1547 Kaiser Karl V. nach Naumburg kam, wurden seine deutschen Truppen in der Innenstadt einquartiert, „der gemeine Hauf aber der Spanier usw.“ heißt es in einer Naumburger Chronik „hat vor den Toren sich enthalten und ist keines Getreides noch Gepflanztes an keinem Ort verschont, die Früchte auf den Ackern zertreten, die Gewächse und Bäume in den Gärten verwüstet, die Zäune einesteils abgebrochen, verkocht und übel Haus gehalten worden. Auch viele außerhalb verwundete Spanier brachte man hierher und die von ihnen starben, begrub man in einem Grunde unterhalb Grochlitz, der daher Spaniergrund heißt und wo man 1782 beim Kiesgraben noch viele Knochenreste fand.“
Ähnliches wird auch von den Franzosen, die am 15. und 16. Oktober 1806, nach der Schlacht bei Auerstedt nach Naumburg kamen, berichtet. „Am härtesten wurde das Dorf Grochlitz heimgesucht, dessen Bewohner bis auf zwei alte Mütterchen teils in die Stadt, teils in die nahen Gehölze oder in das Weidengebüsch an der Saale geflüchtet waren, während die Feinde das verlassene Dorf so verwüsteten, dass kein Tor, keine Tür, kein Fenster, kein Bund Stroh mehr übrig blieb.“
Immerhin soll es 1809 in Grochlitz 51 Höfe gegeben haben. Davon waren wohl nur 13 „Volllandwirtschaftliche Betriebe“, 8 hatten Stallungen, aber keine Scheunen, während der Rest höchstens etwas Garten „hinterm Haus“ aufwies. Daraus kann man schließen, dass nicht ganz die Hälfte der damaligen Bewohner Ackerbau betrieb, während die Mehrzahl sich aus Handwerkern und Arbeitern zusammensetzte. In bescheidenem Umfange wurde vermutlich auch Weinbau getrieben, da bei zahlreichen Häusern des Dorfes vermerkt war, dass eine Kelter dazu gehörte. Nach der Volkszählung von 1822 waren es wohl 218 Menschen, die hier lebten.
Grochlitz, schrieb der frühere Naumburger Stadtarchivar Walter Wirth, „war ein Dorf ‚ohne eigene Flur‘. Für die damalige Zeit bedeutete dies verwaltungsrechtlich, dass alle Bewohner des Dorfes keinen eigenen Grundbesitz hatten, dass die gesamten Ländereien im Eigentum der Stadt Naumburg waren. Durch besondere Vereinbarungen verwaltete aber Grochlitz seine Dorfangelegenheiten selbst.“
So wurde im Jahre 1821 eine eigene Schule eingerichtet. Im Kreisblatt hieß es 1822 dazu: „Erfreulich ist der Eifer, mit welchem seit einigen Jahren die Filial⸗Gemeinden im hiesigen Stadtkreise, welche zeither eigener Schulhäuser entbehrten, sich angelegen seyn lassen, diesem Bedürfniß abzuhelfen. In einem Zeitraume von vier Jahren erwarben sich dieses Verdienst nicht weniger als vier Gemeinden: Roßbach, Altenburg, Grochlitz und nun Schellsitz; es ist ein bleibendes Verdienst, das sie sich um ihre Kinder und Nachkommen erworben haben.“
Eine eigene Kirche hatte Grochlitz nicht, deshalb war das Dorf in die Naumburger St.-Wenzelskirche „eingepfarrt“. Das bedeutete auch, dass die Verstorbenen auf dem alten Wenzelsfriedhof vor dem Marientor, dem heutigen Stadtpark, beigesetzt wurden. „Da sie keine eigene Pfarrgemeinde bildeten, wurden die Toten auch nicht in einem besonderen Teilstück des Friedhofes beigesetzt. Diese Regelung galt schon 1537, wie aus der Naumburger Kirchenordnung hervorgeht.“ Über die heutige Burgstraße trug man die Verstorbenen zu Grabe, weshalb dieser Weg Leichen- oder Totenweg genannt wurde. Die Bewohner der Häuser, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entlang der Straße gebaut wurden, waren von dem Namen natürlich nicht begeistert, weshalb die Stadtverordnetenversammlung am 17. Juli 1879 beschloss, dass der „Weg als Straße den Namen ‚Burgstraße‘ führen solle.“
Zum Dorf Grochlitz gehörten die Gebäude an der heutigen Straße Altgrochlitz einschließlich der rechten Seite der heutigen Badstraße. An der Gabelung Badstraße und Altgrochlitz war der eigentliche Dorfplatz mit Linde, wie sie in allen dörflichen Ansiedlungen üblich waren. Die heutige Grochlitzer Straße war die einzige Zufahrtsstraße zum Dorf.
Daneben gab es in der Gegend schon einige Grundstücke, die nicht mehr zur Zuständigkeit der Grochlitzer Dorfverwaltung gehörten. Die lagen an der linken Seite der heutigen Badstraße, an der Amsdorfstraße und am Linsenberg. Sie bildeten die Vorstadt Grochlitz, die der städtischen Verwaltung, dem Rat der Stadt Naumburg unterstand.
Die Grochlitzer Straße“, so wird berichtet, „war 1890 noch in einem ganz unhaltbaren Zustande, obwohl sie bis nahe an Grochlitz gebaut war. An beiden Seiten zogen sich breite und tiefe Gräben entlang, die bei schlechtem Wetter viel Wasser führten, sowohl die Fußwege wie die zwischen den Graben liegende Fahrstraße waren weder gepflastert noch befestigt, und da der Fuhrverkehr ziemlich rege war, so war der Fahrweg in einem fürchterlichen Zustande. Überschreiten konnte man die Straße eigentlich nur dort, wo der Frauenplan einmündet oder kurz vor Grochlitz." Erst 1904 wurde sie mit Mansfelder Schlackesteinen gepflastert.
Im Jahr 1900 wurde die Bahnlinie ins Wethautal eingeweiht. Besonders die Bewohner der „Vorstadt Grochlitz“ und des Dorfes Grochlitz hatten sich für einen besonderen „Haltepunkt“ stark gemacht und so entstand der Ostbahnhof. Natürlich gab es auch zahlreiche wirtschaftliche Erwägungen, vor allem der Naumburger Braunkohlen-AG in Deuben und der Landwirtschaft, die zu diesem Bau führten.
Die Nähe des Dorfes Grochlitz zur Stadt Naumburg hatte immer schon enge Beziehungen zwischen den beiden Gemeinwesen geschaffen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass in den 1880iger Jahren Verhandlungen mit dem Ziel eingeleitet wurden, die Dorfgemeinde Grochlitz nach Naumburg einzugemeinden. Schon 1875 war der Grochlitzer Ortsvorstand an die Stadt Naumburg mit der Bitte herangetreten, seine Gemeinde in den städtischen Standesamtsbezirk einzugliedern. Der Magistrat hielt dieses Gesuch mit Rücksicht darauf, dass die Gemeinde Grochlitz bei der hiesigen Wenzels-Gemeinde eingepfarrt ist, für ein begründetes und stellte in der Stadtverordnetenversammlung am 8.04.1875 den Antrag, die erforderliche Genehmigung zur Zuteilung der Gemeinde Grochlitz zum Naumburger Standesamtsbezirke zu erteilen. Die Versammlung stimmte unter der Bedingung zu, dass die Gemeinde Grochlitz die Verwaltungskosten des Standesamts anteilig, nach der Kopfzahl übernimmt.
Erst 1904 hört man wieder von den Eingemeindungsplänen, als in der Grochlitzer Gemeindevertretung in Gegenwart des Königlichen Landrates Freiherrn von Dalwigk und des Naumburger Oberbürgermeisters Kraatz in der Angelegenheit verhandelt wurde. In der Stadtverordnetenversammlung im Dezember 1904 wird dann darüber informiert, dass der „Kreistag die Einverleibung des Dorfes Grochlitz als notwendig begutachtet hat.“ Vier Monate später wurde schließlich verkündet: „Über die Fragen, wegen deren bei der Eingemeindung vom Dorfe Grochlitz noch verhandelt wurde, ist nunmehr Einigkeit erzielt und der Antrag auf Eingemeindung von beiden Beteiligten gestellt worden.“ Einen Monat später genehmigte dann die Stadtverordnetenversammlung den mit der Dorfgemeinde Grochlitz abgeschlossenen Eingemeindungsvertrag. Am 9.11.1905 kann man dann im Kreisblatt lesen: „Die von den beteiligten Gemeinden beschlossene Einverleibung des Dorfes Grochlitz in die Stadtgemeinde Naumburg ist durch Allerhöchste Kabinettsorder vom 5. Oktober genehmigt und mit dem 6. November vollzogen worden.“ Das Dorf Grochlitz hatte aufgehört zu existieren.

Werfen wir einen Blick in den Eingemeindungsvertrag. In zehn Paragrafen ist hier festgelegt, wie mit dem lebenden und toten „Inventar“ zu verfahren ist. Die Einwohner von Grochlitz wurden hinsichtlich aller bürgerlichen Rechte und Pflichten den Naumburgern gleichgestellt, das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen beider Gemeinden wurde „verschmolzen“, alle Naumburger Ortsstatuten, Ordnungen, Regulationen usw. galten nun auch im neuen Stadtteil Grochlitz, ebenso die Bestimmungen über die Kommunalbesteuerung und die Erhebung von Gebühren, Beiträgen, sowie sonstigen öffentlich-rechtliche Abgaben.
Naumburg übernahm aber auch einige Verpflichtungen. So versprach der Vertrag, dass die Grochlitzer Schule mindestens 10 Jahre lang bestehen bleiben soll, solange dieselbe wenigstens von 25 Kindern besucht wird. Außerdem sollte das Grochlitzer Gemeindebackhaus in dem jeder Einwohner von Grochlitz berechtigt war, gegen bestimmte Vergütungssätze zu backen, mindestens zehn Jahre erhalten bleiben. Schließlich sollte jedem landwirtschaftlichen Gehöft während der Dauer von 10 Jahren für einen zur Bewachung desselben dienenden Kettenhund Steuerfreiheit gewährt werden und der vorhandene Gemeindebulle möglichst innerhalb der jetzigen Dorflage weiter gehalten werden.
Wie es mit den Kettenhunden und dem Bullen weiter ging ist nicht überliefert. Aber schon ein Jahr später wurde das Schulhaus verkauft, und die Grochlitzer Mädchen in die Marienschule und die Jungen in die Georgenschule umgeschult. Sollte deren Zahl so schnell abgenommen haben? Auch das Backhaus ging bald in Privatbesitz über.
Im neuen Stadtteil wurden nun auch Straßennamen vergeben. Das frühere Dorf wurde „Altgrochlitz“ und die Straßen der früheren „Vorstadt Grochlitz“ erhielten die Namen Amsdorfstraße, Badstraße und Linsenberg.
25 Jahre nach der Eingemeindung wurde im Tageblatt Rückschau gehalten. „Seit der Zeit der Eingemeindung hat sich vieles verändert. Die Stadt hat sich nach Osten hin immer mehr ausgedehnt und das einstige Dörfchen Grochlitz nun richtig umschlugen. Das Städtische hat sich immer mehr verbreitet und die ländlichen Gewohnheiten immer mehr verdrängt. Dies macht sich in der Landwirtschaft am deutlichsten bemerkbar. Immer mehr wird ein Stück Feld nach dem andern der Landwirtschaft zur industriellen Nutzbarmachung und Bebauung entzogen. Der Haupternährungszweig der Grochlitzer Landwirte, der Anbau der Grochlitzer Gurken und des von weither viel begehrten Grochlitzer Gurkenkernsamens, sowie von Möhren und Zwiebeln wird immer mehr in Frage gestellt. Nicht leichten Herzens gaben die damaligen Gemeindevertreter des Dorfes Grochlitz ihre Zustimmung zur Eingemeindung an die Stadt Naumburg. Freilich war die Eingemeindung damals nur noch eine Frage der Zeit, zumal wenn man in Betracht zieht, dass das ‚Dorf Grochlitz‘ von der ‚Vorstadt Grochlitz‘ vollständig umgeben war und eigentlich nur aus der einen alten Dorfstraße bestand. Die noch lebenden älteren Einwohnern von Grochlitz erinnern sich noch gern der guten alten Zeit, in der das einstige Grochlitz noch ein friedliches ruhiges Dörfchen war. Doch es wäre falsch, wenn man sich nur solchen wehmütigen Erinnerungen an gewesene Zeiten hingeben wollte. Denn viel wichtiger sind die Vorteile, die mit der Eingemeindung verbunden waren. Sie brachte Kanalisation, Wasserleitung und Pflasterung mit sich und gewiss auch noch andere beiderseitige Vorteile und war ein naturgemäßer Abschluss der Entwicklung.“
