Es ist mal wieder Kirschenzeit

23. Juni 2011 

Bewegt man sich durch die Natur oder betrachtet die Auslagen der Obst- und Gemüsehändler, dann ist es unübersehbar: es ist mal wieder Kirschenzeit. Ob hell oder dunkel, ob süß oder herb, sie sind allseits beliebt.

KirschenzeitFür uns Naumburger ist die Kirschenzeit aber auch die Zeit des größten Volksfestes im Jahr, wir feiern den Sieg der „Schwachheit“ über die „Stärke“. Obwohl in Mitteldeutschland fast jeder den Anlass kennt, hier kurz noch einmal die Erklärung: der „Sage“ nach haben im Jahre 1432 die Hussiten Naumburg belagert und nur durch die Fürbitte der Kinder wurde unsere Stadt nicht gestürmt. Der hussitische Anführer Prokop der Große schenkte den Kindern Kirschen und brach die Belagerung ab, daher der Name unseres heutigen Festes.

Doch was ist daran wahr? Spätestens seit Carl Peter Lepsius Schrift „Die Sage von den Hussiten vor Naumburg und der Ursprung des Naumburgischen Kirschfestes, historisch-kritisch untersucht“ aus dem Jahre 1811 wissen wir: offensichtlich NICHTS!

Trotzdem hat unser Kirschfest eine lange Tradition: 1526 wird es als Schulfest von Sixtus Braun in seinen „Naumburger Annalen“ erstmals erwähnt: „Das Kirschfest mit den Schulknaben hat sich angefangen, also dass die Knaben in einem Garten Kirschen gessen und darauf am Tage Mariae Magdalenae (22. Juli) eine Collation (kleine Zwischenmahlzeit, Imbiss) gehalten worden, deren Kosten der Rat getragen.

Ein Schulfest ist das Kirschfest über Jahrhunderte geblieben, bis es gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Wandlung zum Volksfest erfuhr. „Schuld“ daran ist die 1782 von Johann Georg Rauhe veröffentlichte Schrift „Die Schwachheit über die Stärke oder gründliche Nachricht von dem 1432 vor Naumburg sich gelagerten Heere der Hussiten unter ihrem Heerführer Procopio und dem daher entstandenen Schul- oder Kirschfeste, alles aus sehr raren und seltenen Urkunden zusammengetragen“. Von verschiedenen Schriftstellern und Zeitungen wurde die Geschichte weiter ausgeschmückt, am bekanntesten ist wohl August von Kotzebues Schauspiel „Die Hussiten vor Naumburg“. „Überlieferungen“ von der Belagerung durch die Hussiten wurden damit zur Wahrheit, denn was geschrieben steht, kann doch nicht falsch sein, oder?

Neustrasse33Wer war dieser Johann Georg Rauhe? Am 18. April 1739 in Naumburg geboren, besuchte er das hiesige Domgymnasium, das er allerdings vorzeitig verließ. Anschließend nahm er Lehrtätigkeiten in verschiedenen Orten der Umgebung u. a. in Kösen auf und war schließlich bis 1789 Garnisonsschullehrer für die Kinder der Soldaten des 1. Bataillons des Infanterieregiments Prinz Xaver in Naumburg. Mit seiner Frau Rosine lebte er im Hause Neustraße 33. Am 8. August 1791 starb er in Naumburg.

Sehr einträglich kann Rauhes Tätigkeit nicht gewesen sein, denn er produzierte offensichtlich aus Geldnot seine so genannten "Quellenwerke zur Naumburger Geschichte", die er frei erfand und an betuchte Bürger verkaufte. Er versuchte seine Fälschungen glaubhafter zu machen, indem er sich auf ältere, bis dahin unbekannte Schriften berief, die jedoch nie existiert haben, wie z. B. die Chronik des Mönchs Benedikt Taube aus dem ehemaligen Kloster St. Georg vor Naumburg.

Trotz oder gerade wegen Rauhes „Erfindungen“ hat sich das Kirschfest bis heute erhalten. Als Eintritt für das 5tägige Fest dienen übrigens Holz-„Kirschen“, die wegen ihrer diesjährigen Farbgebung kaum noch diesen Namen verdienen. Man könnte ihr Aussehen eher als unreif oder faulig bezeichnen, nach Aussage einer Mitarbeiterin der Stadtinformation soll mit den Farben aber eine Verbindung zur unmittelbar bevorstehenden Landesausstellung geschaffen werden.

Trotzdem, allen eine schöne „Kirschenzeit!“

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