Drei schwergewichtige "Damen" feiern ihren 500.
10. September 2018
Steigt man die Treppe des Naumburger Wenzelsturms hinauf, erreicht man nach 144 Stufen in ca. 40 m Höhe die Glockenstube, in der drei Glocken zu bewundern sind, die 1518, also vor 500 Jahren, gegossen wurden.
Sie sind in Sachsen-Anhalt das einzige vollständig erhaltene mittelalterliche Geläut von einem Meister aus einem Guss im originalen Glockenstuhl.
Ein Jahr zuvor, am 21. Oktober 1517, war bei einem schweren Stadtbrand auch der Wenzelsturm vollständig ausgebrannt. Gesprungene und verfärbte Steine zeugen noch heute davon. Die im Turm befindlichen Glocken stürzten herab und zersprangen. Bei Sixtus Braun heißt es dazu, „das löbliche Gottteshaus und Pfarrkirchen der lieben Heiligen und S. Wenceslai samt einem schönen, mit Kupfer zum Teil gedeckten Turme“ ist „mit allen Glocken, Altarien, Mess- und Sangbüchern, auch priesterlichen Kleidungen und inwendigem Zierrat gründlich durch das Feuer verzehret und vergangen.“
Die Stadt machte sich zügig an den Wiederaufbau, schon 1518 erhielt der Turm ein neues Dach. Parallel dazu erteilte man dem Freiberger Glockengießer Martin Hilliger (14.12.1484 - 15.06.1544) den Auftrag, neue Glocken zu gießen.
Johann Bürger schreibt dazu in seinen Annalen: „So sind auch zu Freybergk drey Glocken gegossen worden, die eine von 43. Centnern, die ander von 22. vnd die dritte von 16., darzu der Rath der Kirchen anderthalb hundert gülden vorgestreckt. Das Ertz ist zum theil von den alten Glocken darzu kommen.“
Martin Hilliger entstammte einer sächsischen Glocken- und Geschützgießerdynastie, die seit Beginn des 15. Jahrhunderts in Freiberg und später auch in Dresden ansässig war und bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Sachsen nachweisbar ist.
Bemerkenswerte Glocken aus seiner Werkstatt sind auch die Gedächtnisglocke der Dresdner Frauenkirche (1518), die Schlagglocke für die Thomaskirche in Leipzig (1539) und die Glocke im Wachturm von Geyer (1539).
Bis zu seinem Tod goss er mehr als 50 Glocken und auch eine erhebliche Anzahl von Geschützen für die sächsischen Herzöge Georg und Heinrich.
Als die Glocken nach Naumburg geschafft waren, „hatt man sie Freytags vor Mariae geburt [8. September] auff dem Kirchoffe gegen die Vihegassen hangend angeleütet.“ In den Turm konnten sie noch nicht gehängt werden, da der Glockenstuhl noch nicht fertig war. Dendrochronologische Untersuchungen am heute noch erhaltenen Glockenstuhl belegen, dass das Eichenholz, aus dem dieser besteht, erst 1521 geschlagen wurde.
Bis 1921 wurden die Glocken zum Läuten wie üblich von einer Bühne aus von mindestens sechs Männern "getreten". Danach erfolgte eine Umrüstung auf Seilbetrieb.
Nach dem 2. Weltkrieg hängte man die Glocken an gekröpfte Stahljoche um, wodurch der Schwerpunkt der Glocken nach oben verlegt wurde, was das Handläuten wesentlich vereinfachte, aber zu einem erheblichen Klangverlust führte. Diese und weitere Änderungen, zu denen auch überdimensionierte Klöppel gehörten, bedrohten die Existenz der Glocken.
Am 23. Oktober 2000 wurden deshalb die Glocken ausgebaut und anschließend in das Glockenschweißwerk der Fa. Lachenmeyer nach Nördlingen geschafft. Dort wurden sie runderneuert. Zwischenzeitlich erhielt der Glockenstuhl wieder seine ursprüngliche Form.
Die Rückkehr der Glocken nach Naumburg erfolgte am 19. März 2001. In langsamer Fahrt wurden sie über die Marienstraße und den Markt zum Topfmarkt gebracht, dort feierlich empfangen und nach Festansprachen in die Glockenstube aufgezogen. Die Abnahme des Geläuts am 3. Mai 2001 bestätigte die in jeder Hinsicht gelungene Sanierung.
Seitdem kann man die Glocken, die nach Expertenaussagen von gusstechnisch und künstlerisch ungewöhnlicher Qualität sind, wieder bewundern und sonntags 10 Uhr, aber auch zu besonderen Anlässen, von Elektromotoren angetrieben in Aktion erleben.
Weitere Infos findert man hier.