Die Spanische Grippe im Spiegel des Naumburger Tageblattes von 1918/19

7. November 2020

Im Jahr 1918, der erste Weltkrieg ging mit all seinen Opfern und Entbehrungen seinem Ende entgegen, traf die Menschen weltweit eine unerklärliche Erkrankung.

Hört man als Laie die Symptome diese Krankheit, fallen einem sofort Parallelen zur gegenwärtigen Pandemie auf. Für ca. 20 bis 50 Millionen Menschen schätzt die WHO, endete die Krankheit mit dem Tod, vor allem für 20- bis 40-Jährige.

Die Krankheit erhielt schnell die Bezeichnung „Spanische Grippe“, weil aus Spanien die ersten Nachrichten über ihr Auftreten kamen. Nach heutigen Erkenntnissen hatte diese Pandemie allerdings ihren Ursprung in den USA, wo sie schon Anfang 1918 beobachtet und vor allem durch Truppentransporte nach Europa gebracht wurde. Außerhalb Spaniens wurden durch die Zensur Berichte über das Ausmaß der Epidemie zunächst unterdrückt. In Deutschland zum Beispiel durfte es erst ab Mitte 1918 darüber Veröffentlichungen geben.

Im Naumburger Tageblatt findet man am 28.05.1918 den ersten Hinweis auf das Geschehen in Spanien. „Der König, der Ministerpräsident und die neuen Minister sind unter rätselhaften Erscheinungen an einer Krankheit erkrankt, die sich über ganz Spanien verbreitet und die 30 Prozent der Bevölkerung befallen hat.

Am 19.06.1918 wird erstmals über das Auftreten der Krankheit außerhalb Spaniens berichtet. „In Rom, Turin und Mailand wurden je mehrere hundert Fälle der grippeartigen Krankheit festgestellt.“ Weitere Länder werden dann am 05.07.1918 genannt. „Wie in Deutschland, Österreich-Ungarn, der Schweiz und England ist die spanische Krankheit jetzt auch in Norwegen aufgetreten“. Der Schweizer Armeestab wird zwei Tage später wie folgt zitiert: „Seit Anfang Juli sind in verschiedenen Truppenkörpern in einem Teil des Landes Erkrankungen vorgekommen, von denen bei einigen Einheiten bis zur Hälfte der Bestände betroffen worden.“ Danach erschienen Berichte über Fälle in Schweden, Holland, der Türkei und Polen.

Ein Artikel vom 16.08.1918 zeigt, dass die Krankheit auch in Deutschland verbreitet aufgetreten ist. „Die jetzt verbreitete Grippe zeigt die ausgesprochenen Merkmale einer hitzigen, übertragbaren Krankheit. Der plötzliche Ausbruch inmitten gesunden Befindens, die Fieber- und katarrhalischen Erscheinungen, die starke Verbreitung in Kasernen, Fabriken, Krankenanstalten usw. und die in der überwiegenden Zahl kurze Krankheitsdauer von 1-4 Tagen lassen darüber keinen Zweifel.

Heute ist bekannt, dass nach einem zwischenzeitlichen Abflauen eine zweite, wesentlich schlimmere Grippewelle in der zweiten Augusthälfte des Jahres 1918 auftrat. Im Naumburger Tageblatt kamen dazu zuerst Berichte aus Schweden, Norwegen, Spanien und Frankreich.

Ab Oktober 1918 nimmt dann die Berichterstattung aus Deutschland deutlich zu. Es wird fast täglich aus vielen Landesteilen u. a. von überfüllten Krankenhäusern, geschlossenen Fernsprechämtern, Beeinträchtigungen des Zugverkehrs, fehlenden Erntehelfern und Schulschließungen berichtet.

Am 22. Oktober 1918 erscheint dann eine Erklärung des Reichsgesundheitsrates: „Nachdem die Grippe nach ihrem Auftreten im Juni und Juli d. J. wesentlich zurückgegangen war, hat sie im Laufe des Oktobers wieder stark zugenommen. Die Zunahme erstreckt sich auf das ganze Reichsgebiet. Die Krankheit ist diesmal mit schwereren Erscheinungen verbunden als vordem. Besonders bei jüngeren Personen verläuft die Krankheit heftig. Treten Komplikationen, namentlich Lungenentzündung hinzu, so endet sie nicht selten tödlich.
Berichte über Grippeerkrankungen bei den deutschen Truppen gibt es, sicherlich zensurbedingt nicht. Schaut man sich aber die Todesanzeigen genauer an, findet man u. a. folgendes: „verschied nach schwerem Lungenleiden, welches er sich im Felde zugezogen hat“, „verschied an Lungenentzündung im Lazarett", „an einer schweren Lungenentzündung in einem Feldlazarett in Belgien den Heldentod erlitten“, „auf der Reise von der Front nach der Heimat an der Grippe erkrankt und an deren Folgen im Lazarett verstorben“.

Und wie sah es eigentlich in Naumburg aus? Erstmals am 19.10.1918 steht darüber im Naumburger Tageblatt geschrieben: „Auch das hiesige Postamt gibt bekannt, daß infolge zahlreicher Grippe-Erkrankungen des Personals ein ordnungsgemäßer Dienstbetrieb … nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Ab dem 22.10.1918 wird dann von Schulschließungen in Naumburg berichtet: „Durch zahlreiche Grippe-Erkrankungen veranlaßt, mußte in der hiesigen Mittelschule der Unterricht in dieser Woche gänzlich ausfallen.“ Drei Tage später: „In Naumburg hat sich außer der Mittelschule … gestern auch das Domgymnasium veranlaßt gesehen, wegen Ausbreitung der Grippe unter Lehrern und Schülern den Unterricht auf zehn Tage auszusetzen, ebenso die Vorschule. Zahlreiche Krankheitsfälle unter den Schülern des Realgymnasiums und der Realschule und den Schülern des Luisen-Lyzeums führten zur einstweiligen Schließung auch dieser Lehranstalten.
Die als „Grippeferien“ bezeichneten Schulschließungen in Naumburg wurden nach Ablauf der genannten Fristen bis zum 7. November verlängert.

Am 26.10.1918 werden erstmals Grippetote in Naumburg erwähnt: „Die Grippeerkrankungen haben in Naumburg in den letzten Tagen zugenommen. Es sind auch täglich mehrere Todesfälle gemeldet worden.“ Die Polizeiverwaltung verfügt aus diesem Grunde die Schließung der hiesigen Theater, Kinos und ein Verbot der Abhaltung von größeren Versammlungen. Es trat nach heutigem Sprachgebrauch also ein „Lockdown“ in Kraft, der bis zum 9. November andauerte.

Während man in Berlin solche Schließungen nach einem Bericht vom 26.10.1918 für nicht erforderlich hielt, wurden in Naumburg also andere Beschlüsse gefällt. Auch das kommt uns heute auf die eine oder andere Art bekannt vor.

Auch nach Aufhebung dieser Beschränkungen war man in Naumburg noch vorsichtig. So ist am 13.11.1918 zu lesen: „Infolge Ansteckungsgefahr ist das Kadettenhaus Naumburg vorläufig geschlossen worden. Die Kadetten sind bis Ende November beurlaubt.

In den Folgewochen scheint die Zahl der Erkrankungen in Naumburg zurück gegangen zu sein, bis am 7. Dezember verkündet wird: „Wie wir von zuständiger Seite hören, ist die Grippe-Epidemie in Naumburg als erloschen anzusehen.

Gegen Mitte Januar 1919 betrachtete man die Grippe weltweit als weitestgehend ausgestanden, wie Beiträge zeigen, die sich mit einer Bilanz des Krankheitsverlaufes und der Gesamtzahl der Todesopfer befassen. Am 05.02.1919 wird allerdings noch mal vom Wiederaufflackern der Grippe berichtet. Heute wissen wir, dass es zwischen Februar 1919 bis 1920 noch eine dritte Grippewelle gab, die allerdings nur lokal auftrat und in ihrem Verlauf nicht mehr so tödlich war wie die zweite.
Im Naumburger Tageblatt spielte das Thema „Spanische Grippe“ nach dem 07.02.1919 keine Rolle mehr.

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