Mit Käsehitschen, Schlittschuhen und Fassdauben durch den Winter

17. Februar 2022, aktualisiert am 15.02.2023

In der „guten alten Zeit“, als der Tagesablauf noch nicht vom Fernseher und Smartphone diktiert wurde, verbrachten im Winter viele Naumburger, nicht nur die Kinder, ihre Freizeit mit Schlittschuhlaufen und Rodeln.

Ohne Frost und Schnee sind solche Aktivitäten natürlich nicht möglich. Aber man bekam ja immer gesagt, dass es früher stets strenge, lang anhaltende Winter gegeben habe. Als der Autor dieser Zeilen mal in Ausgaben des Naumburger Kreisblattes aus den Kinder- und Jugendtagen seiner Großeltern blätterte, wurde er eines Besseren belehrt. Die Winter der Jahre 1897 bis 1914 waren häufig mild und schneearm. Im einzelnen kann man den jährlichen Zusammenfassungen zum Wetter folgendes entnehmen:

Nach einem schneereichen Jahresanfang 1897 wurden die folgenden Winter bis 1900 als mild und frühlingshaft beschrieben. Erst 1901 wird wieder von einem zu Neujahr beginnenden ca. 3 Wochen anhaltenden strengen Winter berichtet. Im März gab es nochmals Schnee, aber „zu Weihnachten spielten die Kinder mit Kreisel und Murmeln auf der Straße“. 1902 wurde der „frühlingsartige Jahresanfang“ erst ab Februar von mäßiger Kälte mit wenig Schnee abgelöst. Nach frühzeitigem starken Frost zu Jahresende begann das Jahr 1903 mit einem „ungewöhnlich warmen und freundlichen Frühjahrswetter“ und ging „ohne Eis und Schnee zu Ende“. Auch die nächsten Winter waren mild und schneelos, erst 1906 stellten sich „Eis und Schnee, mehrere Jahre vermisst, kurz vor Jahresschluss ein“. Nach weißen Weihnachten 1907 und starkem Frost Anfang 1908 blieben bis Jahresende Schnee und Frost aus. Das Jahr 1909 begann erneut mild, nach einigen Wochen folgten bis Frühjahrsbeginn Frost und starker Schneefall. Das Jahresende war jedoch vorfrühlingshaft, nachdem es schon Mitte November Frost und starken Schneefall gegeben hatte. 1910 brachte nur ein einziges Mal kurzen Schneefall zum Jahreswechsel, 1911 fiel überhaupt kein Schnee. 1912 erlebte nur Anfang April eine „fast winterliche Witterung“ und ein „im November beginnendes, bis zum Jahresende anhaltendes frühlingshaftes Wetter“. Im Jahr 1913 gab es nur eine kurze winterliche Episode, es ging ohne Frost und Schnee zu Ende. Erst das Jahr 1914 wird zu Beginn als schneereich beschrieben, während der Dezember wieder „ungewöhnlich warm“ war.

Damit soll es mit den Betrachtungen zum Wetter genug sein. Schlitten im heutigen Sinne waren anfangs des 20. Jahrhunderts in unserer Gegend kaum verbreitet, in Davos, der „Wiege“ des Schlittens für touristische Zwecke begann man erst ca. 1880 solche zu bauen. Wenn man seinerzeit vom Schlittenfahren sprach, meinte man in erster Linie von Pferden gezogene, mit Schellen behängte Schlitten. Wer es sich leisten konnte musste bei schönen Winterwetter am Wochenende schon Glück haben, ein solches Lohnfuhrwerk in der Stadt aufzutreiben. Für solche Ausfahrten war wohl am beliebtesten die Straße nach Bad Kösen und Saaleck bis hoch zur Rudelsburg. „In jenen verklungenen Zeiten konnte man beim Schlittenfahren von korbtragenden Brezeljungen dick bestreute Salzbrezeln erstehen, die so schönen Durst machten“, ist in einer zeitgenössischen Schilderung zu lesen.

Und was machten die Anderen, die sich eine Fahrt im Pferdeschlitten nicht leisten konnten? In einem Zeitungsartikel von 1929 kann man dazu folgendes lesen: „Vor länger als 25 Jahren, wo anstelle des heutigen Rodelschlittens die sogenannte ‚Käsehitsche‘ Alleinherrscherin der Schlittenbahnen war, bauten sich die Jungens der ärmeren Bevölkerung vielfach ihre Käsehitschen selber. Für einen Groschen kaufte man sich damals beim Altwarenhändler in der Moritzstraße ein paar alte ausgediente Schlittschuhe, die dort immer zu haben waren, nagelte diese auf zwei Leisten auf, verband beide mit einem Sitzbrett und schon war die feinste Käsehitsche fertig. Wenigstens nach damaligen bescheidenen Begriffen. Die Jungens waren auch stolz auf ihre ‚Selbstgebauten‘, die so famos liefen. Freilich musste man die Beine dauernd in gestreckter Schwebe halten, weil die Sitzfläche meistens zu kurz war. Heute gibt sich die anspruchsvoller gewordene Jugend mit solchen Vehikeln nicht mehr zufrieden.In diesem letzten Punkt irrt sich der Verfasser jener Zeiten. 60 Jahre später waren der Autor dieser Zeilen und seine Altersgenossen als Besitzer von „richtigen“ Schlitten neidisch auf die wenigen Inhaber solcher Käsehitschen.

Gefahren wurde überall wo es bergab ging, aber natürlich war es „auf den zum Rodeln geeigneten, aber verkehrsgesegneten Wegen, wie dem Abhang am Bürgergarten zum Beispiel, nicht gestattet.Im Jahr 1908 wurde im Kreisblatt berichtet, dass „bei uns in diesem Jahr der neue Sport des Rodeln immer mehr in Blüte gekommen ist, d.h. bei erwachsenen Leuten, denn die jüngere Jugend hat es von jeher ausgeübt.“ In jener Zeit wurde „eine ganz prächtige Bahn an der westlichen Seite des Kadettenhauses, dem ‚Westring‘ (heutige Gottlob-Friedrich-Klopstock-Straße) gefunden, die dort vom Birkenwäldchen zur Kösener Straße herabführt.“ „Sie ist gefahrlos, hat einen Seitenweg zum Aufstieg, dem Verkehr wird dort so gut wie kein Hindernis bereitet. Sowohl ist es denn kein Wunder, dass sich dort täglich ein lustiges fröhliches Treiben abspielt und die Bahn nicht nur von Kindern, sondern auch von Erwachsenen eifrig bis in den späten Abend hinein benutzt wird.

Es zeigte sich bald, dass diese Rodelbahn nicht gefahrlos ist. Auch auf Grund des großen Andrangs kam es immer wieder zu Unfällen. Schlitten stießen zusammen, fuhren gegen Bäume oder Zuschauer wurden umgefahren. „Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Unglücksfall, oder wenigstens ein Malheur auf unserer Hauptrodelbahn zu verzeichnen wäre und das ist bei dem großen Andrang nicht verwunderlich“ war im Kreisblatt zu lesen. Knochenbrüche und Kopfwunden waren an der Tagesordnung. Immer wieder mussten Leute besinnungslos abtransportiert werden. Da halfen auch keine Appelle: „Es ist in der Tat das Gesündeste, wenn das Publikum lernt, sich selbst zu erziehen; die Rodler, indem sie streng auf gehörige Abstände achten, die Zuschauer indem sie bei Andrang lieber fortgehen, als sich mitten in die Bahn zu stellen.

Forderungen, nach Bereitstellung einer „gefahrlosen“ Rodelbahn wurden erst im November 1931 erhört. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss eine Rodelbahn „am Schützenplatz in der von Norden nach Süden verlaufenden Hohle durch Wohlfahrtserwerbslose“ bauen zu lassen. Für diese ca. 650 Meter lange Bahn wurden Kosten in Höhe von 600 RM veranschlagt. Trotz widriger Witterung in den folgenden Wochen konnte die Bahn Ende Januar 1932 fertiggestellt werden und Mitte Februar nach einsetzendem Schneefall erstmalig benutzt werden. Gleich am ersten Tag gab es wieder einen Unfall … .

 

Wer damals in Naumburg Schlittschuh laufen wollte hatte die Wahl zwischen verschiedenen Natur- und einer Kunsteisbahn. Zu ersteren gehörten die Pferdeschwemme am später dort erbauten Realgymnasium (heute Humboldtschule), die Gerberlache am heutigen Gänsegries und die von den Naumburgern so gern besuchten Pfortenwiesen, wo man sich auf fast unübersehbarer Eisfläche dem Eissport ausgiebig hingeben konnte.Aber auch unter Wasser stehende und überfrorene Saalewiesen und die manchmal zugefrorene Saale selbst wurden genutzt. Wobei dort immer die Gefahr bestand, einzubrechen mit allen erdenklichen Folgen.

Bachstein 25Über Jahrzehnte hinweg war die Kunsteisbahn des „Eisvaters“ Karl Bachstein eine Naumburger Institution. Anlässlich des 25. Jubiläums der Eröffnung seiner Kunsteisbahn im Jahr 1904 war folgende Würdigung im Kreisblatt zu lesen: „Karl Bachstein ist durch diese seine Tätigkeit nicht minder eine stadtbekannte Persönlichkeit geworden wie durch die originelle, poetische Form seiner Ankündigungen. Immer neue Generationen sind auf der glatten Fläche vor seinen Augen vorbei gesaust; haben erst mühselig balancierend die freie, lustige Kunst gelernt und sind schon längst gereiften Alters im Beruf oder am häuslichen Herd von der Fläche verschwunden. Bachstein hatte seine Bahn zuerst mehrere Jahre auf dem ‚Schwanenteich‘, nämlich dem Wasser, das sich damals in den Ausschachtungen an der Bahnhofsbrücke befand, und zwar erst jenseits der Bahn, etwa vier Jahre, dann etwa sechs Jahre diesseits. Diese Gewässer wurden trockengelegt, und durch das Entgegenkommen des Magistrats wurde die nahe Bahn auf der Vogelwiese ermöglicht, der Herr Bachstein seitdem alljährlich vorsteht.Auf seiner Eisbahn wurde nicht einfach nur Schlittschuh gelaufen, sondern es gab auch sonntägliche Konzerte, die der „Inbegriff der damaligen Winterfreuden der kleinen und der großen Welt“ waren. Die Ära Bachstein endete jäh, als am 14. März 1911 in seinem Haus in der Moritzstraße 43 ein Feuer ausbrach, das seine dort lagernden Buden zerstörte.

Erst 20 Jahre später nutzte „ein findiger Kopf den Platz vor der alten Jägerkaserne“ um bei passendem Wetter eine Kunsteisbahn zu errichten.

Wie im Kreisblatt 1909 zu lesen ist, war das Skilaufen in unserer Gegend mangels Gelegenheit die am wenigsten verbreitete Wintersportart. 1929 wurde dann festgestellt, dass in „neuerer Zeit hat auch der Schneeschuhsport außerordentlich an Umfang zugenommen hat. Man sieht heute Leutchen mit ihren Hölzern auf den Straßen und Hängen draußen herumkraxeln, die sich das früher nicht zugetraut hätten. Auch die Jugend gehört zum großen Teil zu seinen Anhängern und eifrig Ausübenden.Wenn man jetzt die Schritte nach den südlichen Anhöhen lenkt, so begegnet man ihnen allerorten und überall ziehen sich die Doppelspuren der Hölzer durchs weiße Land.Freilich war die Beschaffung der nötigen Gerätschaften so eine Sache. „Ihre Selbstanfertigung wird wohl schon öfters manchen Jungen, der sich keine kaufen konnte, Kopfschmerzen verursacht haben. Denn sie sollen doch auch 'schnittig' sein und gekauften möglichst ähneln.Aber man wusste sich zu helfen: Da war doch ein kleiner etwa fünfjähriger Knirps gestern in der kleinen Wenzelsgasse weit bescheidener in seinen Ansprüchen. Er hatte sich von einem Heringsfass zwei etwa meterlange Dauben besorgt, mit ein paar darauf genagelten Riemen seine Beinchen festgeschnallt und arbeitete sich an ein paar Haselnussstöcken mit einem Eifer vorwärts, der erkennen ließ, welche große Freude er am selbst gefertigten oder mithilfe Größerer hergestellten ‚Sportgerät‘ hatte, sodass auch Vorübergehende stehen blieben und sich an seinem Tun erfreuten.

In diesem Winter hatten wir hier bisher nur zweimal kurz die Gelegenheit, Wintersport zu treiben. Hoffen wir, dass es bald mal wieder möglich sein wird.

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