Jüdisches Leben in Naumburg bis zum 19. Jahrhundert und die Beseitigung des jüdischen Friedhofs vor 140 Jahren

20. März 2023

Geht man in Naumburg vom Lindenring kommend die Straße Neumauer Richtung Windmühlenstraße entlang, findet man rechts an der Mauer des Domfriedhofs die Inschrift "Tod, ist nicht Tod, ist nur Veredlung sterblicher Natur". Als neugieriger Mensch fragt man sich, warum diese Inschrift gerade an dieser Stelle angebracht ist, wo nur wenige Menschen entlang gehen. Und vielleicht auch, warum das erste Komma in der Inschrift viel größer ist, als das zweite.

Glaubt man den wenigen verfügbaren Hinweisen, dann ist die Inschrift das letzte Überbleibsel des in Naumburg früher existierenden jüdischen Friedhofs. Wenn es einen solchen Friedhof gab, muss es hier natürlich auch jüdische Einwohner gegeben haben. Dazu ist einiges mehr überliefert.

Blicken wir zunächst ins Mittelalter zurück. Die Juden waren damals nur mehr oder weniger geduldet und vom Wohlwollen der jeweiligen Herrscher abhängig. Allen diesen waren sie zu finanziellen Leistungen verpflichtet. Sie unterlagen der sogenannten Kammerknechtschaft, dem im Heiligen Römischen Reich für dort lebende Juden geltenden Rechtsstatus, wonach sie dem Reich gehörten, deshalb dem Schutz des Königs unterstanden und dafür Schutzgeld an ihn zu zahlen hatten.

Erstmals werden jüdische Einwohner in Naumburg im Jahr 1348 erwähnt, doch waren sie sicher bereits in den Jahrzehnten zuvor in der Stadt ansässig. In Sixtus Brauns „Naumburger Annalen“ ist zu lesen: „Die Juden, die sich in der Stadt aufgehalten und darin geduldet worden, haben dem Rät jährlich 46 Schock gegeben.“ Sie lebten vor allem in der Jüdengasse, die sich im Winkel von der Jakobstraße zum Topfmarkt erstreckt und einst nur mit einem Eingang versehen war, weshalb sie wohl "Sackwyt" genannt wurde. Hier gab es auch eine 1354 erstmals erwähnte Synagoge, eine Schule und eine Mikwe (Tauchbad zur Erlangung ritueller Reinheit).

Das Pestjahr 1349 hatte grausame Folgen für das jüdische Leben. Die Seuche, die rund ein Drittel der Europäer das Leben kostete, wurde den Juden zur Last gelegt. Man klagte sie an, die Pest durch Vergiftung der Brunnen ausgelöst zu haben und verfolgte und tötete sie gnadenlos. Auch in Naumburg war das nicht anders. In Ratsrechnungen von 1349 steht geschrieben: "Item gaben wir dem Henker, der die getauften Juden verbrannte, 15 Groschen und für Säcke und Stricke und anderes Gerät 4 Groschen und als Trinkgeld der Knechte 3 Groschen und gaben wir den Knechten, welche den Henker halfen, 8 Groschen." Nach einer Sage soll es einem Teil der Naumburger Juden gelungen sein, zu fliehen. Als sie die Verfolger kurz vor der Großjenaer Fähre fast eingeholt hatten, wurde ihr Flehen von ihrem Gott erhört und ein Blitzschlag versenkte die Feinde im "Donnerloch".

Mit der Vertreibung und Tötung der Juden verlor Kaiser Karl IV. eine wichtige Einnahmequelle, was ihn natürlich erzürnte. Um diese Quelle wieder sprudeln zu lassen, erneuerte er den Schutz der Juden, indem er u. a. die aus Zeitz, Querfurt, Halle und Naumburg stammenden Juden im Jahre 1350 an Friedrich den Strengen von Sachsen verlieh. Daraufhin müssen wieder etliche jüdische Familien nach Naumburg übersiedelt sein, denn schon für das Jahr 1354 ist belegt, dass Juden hier eine Steuer von 50 Schock Groschen an den Rat zu zahlen hatten.

Da aber der Bischof der Landesherr war, bekam er davon 20 Schock Groschen ab. Neben der laufenden Steuer wurden durch den Rat von Zeit zu Zeit Sonderabgaben erhoben, welche die Juden nicht abschlagen durften.

Die Wohnungen der jüdischen Familien waren Eigentum der Stadt, weshalb diese Miete für deren Nutzung zu zahlen hatten. Bei dem großen Stadtbrand 1384 wurden auch die Häuser in der Jüdengasse vernichtet, aber kurze Zeit später von der Stadt neu errichtet. In den nachfolgenden Jahren nahm die Zahl der Juden zunächst zu und man lebte weitestgehend problemlos miteinander. Anfangs des 15. Jahrhunderts verringerte sich die Zahl der jüdischen Familien wieder, wohl auch, weil der Rat mit der jüdischen Gemeinde 1410 vereinbarte, dass nur 22 jüdische Familien bleiben dürfen und diese jährlich 40 Gulden Schutzgeld zu zahlen haben.

Die Juden lebten hauptsächlich vom Pferdehandel und vom Geldverleih. Ihre Kunden waren nicht nur die Naumburger Bürger, sondern auch die Bischöfe. So verkaufte Bischof Christian 1382 Teile von seinem Tafelgut, weil er bei den Juden verschuldet war.

Um das Jahr 1440 nahmen die Beschwerden der Naumburger Bürger über die Juden zu, weil sie wohl sehr hohe Zinsen für das geliehene Geld verlangten. Infolgedessen ließ der Rat 1445 alle Juden verhaften. Nach Rücksprache mit dem Bischof und dessen Verhandlung mit dem Markgrafen mussten sich die Juden bei ihrer Freilassung verpflichten, dass sie zukünftig nicht mehr als 2 Pfennig Zinsen pro Gulden und Woche nehmen würden.

Diese Vereinbarung hielt bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts und man war mit einander zufrieden, bis für die nächste Pestepidemie 1490-1492 wiederum die Juden verantwortlich gemacht wurden. „Überall stieß man sie aus, Naumburg konnte sie daher auch nicht länger dulden.“ Am 14. Mai 1494 beschloss daher der Rat alle Juden aus der Stadt auszuweisen. „Sie mussten ... mit Weib und Kind und mit allem, was sie an Waren und Geräten besaßen, auswandern, ihre Wohnungen und die Synagoge wurden niedergerissen.“ Ein Schild in der Jakobstraße am Eingang der Jüdengasse erinnert heute daran. Seitdem gab es hier keine jüdische Gemeinde mehr.

Mit der Ausweisung der Juden fielen natürlich auch die Einnahmen der Stadt aus der Judensteuer weg. Der Bischof aber wollte auf seinen Anteil daran nicht verzichten und erlegte der Stadt für den Ausfall eine Steuer von 60 Gulden auf, die vier Jahrhunderte hindurch mit zuletzt 52 ½ Taler an die Stiftsregierung gezahlt werden musste. Erst im Jahre 1812 verzichtete diese darauf.

Auch wenn keine jüdische Gemeinde mehr in Naumburg existierte, hielten sich doch immer wieder einige Juden hier auf. Die im Kreisblatt veröffentlichten Statistiken weisen ab 1837 jährlich zwischen vier und zehn jüdische Einwohner, anfangs noch als „Juden ohne Staatsbürgerrechte“ bezeichnet, aus.

Wo die Juden im Mittelalter ihre Verstorbenen beerdigten ist nicht bekannt. Seit 1794, eine andere Quelle spricht von 1824, gab es in Naumburg einen jüdischen Friedhof, der sich beginnend am Gasthof "Goldener Stern" in der Straße "Hinter der Post" zwischen Hallescher Straße und Thomas-Müntzer-Straße befand.

Nach einer Beschreibung im Naumburger Tageblatt vor 100 Jahren war er von einer steinernen Mauer umgeben. „Wilde Rosen wucherten an der Mauer und die berasten Grabhügel waren nur noch schwach gewölbt. Nach Osten zu, nach der Hallischen Straße hin, befand sich das altertümliche gewölbte Eingangstor mit schönen hebräischen Schriftzeichen. Links vom Tor auf großen Rotsandsteinquadern war ein Spruch eingegraben in großer schöner Fraktur: ‚Tod | ist nicht | Tod, | ist nur | Vered | lung st | erblicher | Natur.‘ Die Schriftzeichen sind gefällig, ihre Ausführung aber primitiv. Die Striche zwischen den einzelnen Worten zeigen an, wie viel Buchstaben auf einem Steine untergebracht waren, sie markieren die Steinritzen.

So weit die Beschreibung. Im Jahr 1843 wurde erstmals über die Beseitigung des jüdischen Friedhof nachgedacht. Im Zusammenhang mit dem geplanten Bau eines Inquisitoriats in Naumburg (Behörde, deren Aufgabe es war, Ermittlungen und Voruntersuchungen in Strafsachen zu führen, gewissermaßen die Vorläufer der heutigen Staatsanwaltschaften) bot die Stadt 1843 dem Königlichen Ober-Landesgericht die unentgeltliche Überlassung des Platzes vor dem Marientor als Bauplatz an. Ein Gutachten des Königlichen Bauinspektors ergab, dass die angebotene Fläche nicht ausreichen würde, sondern auch der nebenan liegende Judengottesacker für den Bau erforderlich wäre. Die „Umnutzung“ der Fläche des Friedhofes wurde damals noch von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt.
Vielleicht spielte dabei eine Rolle, dass auf dem Friedhof auch Leipziger Juden beigesetzt wurden, bis 1864 dort ein eigener Friedhof entstand.

40 Jahre später sah man die Sache offensichtlich anders. Das Naumburger Kreisblatt berichtet:„Als die letzte Beerdigung auf dem Judenfriedhof erfolgen sollte und schon alles vorbereitet, auch die Gruft gegraben war, die einen 4. Jäger mosaischen Glaubens aufnehmen sollte, der im Jahre 1874 mit dem Bataillon in unsere Stadt eingezogen, aber später beim Baden in der Saale ertrunken war, ereignete sich ein Zwischenfall. Als der Leichenzug am Friedhof anlangte, stand an der Pforte der Polizeikommissarius Mertz, der den Eintritt verwehrte und die Beerdigung verbot. Polizei und Rat der Stadt, an der Spitze damals Oberbürgermeister Goebel, hatten in letzter Minute den Entschluss gefasst, den Friedhof wegen der damals vor den Toren einsetzenden Bebauung eingehen zu lassen, zumal seit 50 Jahren dort kein Jude beerdigt worden war.

Anfang 1883 ließ die Stadt im Kreisblatt verkünden: „Die Umfriedungsmauer des ehemaligen Judengottesackers nebst Tor soll auf den Abbruch durch Auktion an den Bestbietenden verkauft werden und ist hier zu Termin Donnerstag, den 1. Februar, vormittags 10 Uhr, an Ort und Stelle angesetzt, in welchem die Bedingungen des Verkaufs bekannt gemacht werden.

Meistbietender war das Domkapitel. Es kaufte zu mindestens einen Teil der Steine und verwendete sie zur Ausbesserung der Mauer des Domfriedhofes. Dabei wurden die Steine so in die Mauer eingesetzt, dass die Inschrift erhalten blieb.

Das Gelände des jüdischen Friedhofes wurde nach dem Abtragen der Mauer 1883 eingeebnet und völlig überbaut. Die in Naumburg lebenden jüdischen Familien brachten von nun an ihre Toten nach Weißenfels. Heute, 140 Jahre später, gibt es keine sichtbaren Spuren der einstigen jüdischen Begräbnisstätte mehr.

Kommen wir abschließend noch einmal zur Inschrift zurück. Warum weicht das Aussehen des ersten Kommas so deutlich vom zweiten Komma ab? Nach einem vor 100 Jahren im Naumburger Tageblatt veröffentlichten Artikel muss wohl dem Maurer beim Einsetzen der Steine ein kleines Versehen unterlaufen sein. „Er hat nämlich den zweiten Tod mit dem ersten verwechselt und so liest man: Tod, | ist nicht | Tod. Das Komma hinter dem ersten Tod, dass hinter dem zweiten stehen müsste, beurkundet dieses Versehen.“
Später wurde dieser Fehler dann korrigiert, indem ein weiteres Komma eingemeißelt wurde.

 

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