Ein Blick zurück in die lokale Kriminalgeschichte: Raubmord in Naumburg
22. Oktober 2023
Die Parfümerie Schotte am Naumburger Markt dürfte allgemein bekannt sein. Auch wurde früher schon berichtet, dass die Familie Schotte die Familie mit den ältesten Bürgerrechten in Naumburg ist. Weniger bekannt ist, dass die Familie vor 170 Jahren ein schwerer Schicksalsschlag traf.
Doch zunächst die Geschichte des Familienunternehmens in Kurzfassung. Ein Johann Georg Schotte heiratete 1708 in die Seifensiederei von Christian Zinßmann ein, der diese seit dem 1. April 1691 in der Naumburger Ratsstadt betrieb. Eines der ersten Geschäftshäuser der Familie Schotte war wohl das alte Seifensiederhaus "Zur Eule" in der Salzstraße 21. 1727 erwarb Johann Georg Schotte das Bürgerhaus Herrenstraße 6. Sein Enkel Johann Christian Schotte ließ im Jahre 1764 nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges dort das heute noch zu sehende Relief anbringen, das einen Engel mit dem Spruchband zeigt „Herr schütte über dieses Haus die Frucht des edlen Friedens aus“. Einhundert Jahre wurde die Seifensiederei in der Herrenstraße betrieben und dann in die Salzstraße 16 verlegt. Nur wenige Jahre später, 1831, erwarb die Familie Schotte dann das noch heute in ihrem Besitz befindliche stattliche Handels- und Bürgerhaus Markt 17, mit einem aus zwei großen Gebäuden gebildeten Seitenflügel in der Mühlgasse. Hier ist an einer Toreinfahrt zu lesen: „Seifenfabrik Eduard Schotte“ gegr. 1691.
Im Jahre 1853 erschütterte die Einwohner der Stadt Naumburg die Nachricht über einen grausamen Mord, worüber erstmals am 29. Oktober kurz im Naumburger Kreisblatt zu lesen war. Wenige Tage später gab es dann eine erste offizielle Bekanntmachung des für die Untersuchung der Tat zuständigen Staatsanwalts: „Ein allgemein geachteter Bürger unserer Stadt, der Seifensiedermeister Karl Friedrich Schotte, ist in der Nacht vom 28. zum 29. Oktober, in der Zeit von elf bis ein Uhr im Schlafe ermordet und einer Summe Geldes von etwa 6 bis 700 Talern beraubt worden. Außer dem baren Gelde, welches aus Talern, 1/3 und 1/5 Stücken, Kassenanweisungen und einigen Doppelfriedrichsd'or und Dukaten bestand, hat der Mörder ein goldenes Petschaft mit einem H., einem goldenen Uhrschlüssel mit einem Platte, oval, und eine blecherne Teebüchse mitgenommen und durch die Flucht sich der Ergreifung entzogen. Für alle Bewohner Naumburgs ist es eine heilige Pflicht, zur Entdeckung dieser in unsern Mauern unerhörten Gräueltat mitzuwirken und erwarte ich daher mit voller Zuversicht, das sich jeder dieser Pflicht bewusst ist. Oft die geringsten und vom Anfange unscheinbarsten Umstände führen auf die Spur eines solchen Verbrechens und ich fordere daher hierdurch auf, mir schleunige Mitteilung von auffallenden Bemerkungen und Beobachtungen, welche etwa auf die Tat und ihren Urheber Bezug haben könnten, zu machen, damit die weiteren Ermittlungen veranlasst werden können und der Täter der wohlverdienten Strafe nicht entgeht. Schließlich bemerke ich, das die Königliche Regierung in Merseburg demjenigen eine Belohnung von 200 Talern zusichert, welcher zuerst den Täter zur Anzeige bringt mit dem Erfolge, das derselbe zur Untersuchung gezogen und bestraft werden kann.“
Es ist anzunehmen, dass spätestens jetzt die Gerüchteküche bezüglich der Details des Verbrechens brodelte. Neue Nahrung dafür lieferte vermutlich die Veröffentlichung eines Steckbriefes durch den Staatsanwalt am 12.11.1853 im Naumburger Kreisblatt: „Der eines Raubmordes verdächtige Handarbeiter Johann Gottfried Reinsberger von hier hat Gelegenheit gefunden in der Nähe von Bürgel zu entspringen. Indem ich auf diesen höchst gefährlichen Menschen alle Polizei- und Sicherheitsbeamten aufmerksam mache, ersuche ich im Fall seiner Ergreifung um seine Ablieferung an das Königliche Kreisgericht hier.“ Dieser Erklärung folgte eine detaillierte Beschreibung des Verdächtigen.
Blieb die Frage: Entsprungen in der Nähe von Bürgel, also war er schon mal gefasst worden? Eine Antwort darauf gab es zunächst nicht, wohl aber bald eine Erfolgsmeldung. Vier Tage später war nämlich im Kreisblatt zu lesen: „Der hinter dem Handarbeiter Johann Gottfried Reinsberger von hier, unter dem 9. November erlassene Steckbrief ist durch seine heute erfolgte Ergreifung und Ablieferung in das Gerichtsgefängnis erledigt.“
Nur reichlich zwei Wochen von der Tat bis zur Verhaftung eines dringend Tatverdächtigen, eine beachtliche Leistung der damaligen Ermittlungsbehörden. Und das ohne Fingerabdruck-Vergleich, der in Deutschland erst Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam und ohne DNA-Analysen, die erst seit knapp 40 Jahren möglich sind.
Was war nun eigentlich genau geschehen? Auf diese Frage lieferte erst der Bericht über die Sitzung des Naumburger Schwurgerichtshofes am 10. März 1854, in der gegen den Tatverdächtigen verhandelt wurde, detaillierte Antworten.
In der Nacht vom 28. zum 29. Oktober 1853 begab sich zwischen 1 und 2 Uhr ein Dienstknecht namens Hoyer zur Wohnung seines Dienstherren, dem Seifensiedermeister Karl Friedrich Schotte, um auftragsgemäß dort die Pferde zu füttern und mit diesen in Unterwerschen Torf zu holen. Im Haus brannte zwar Licht, aber die Tür war verschlossen. Auf sein wiederholtes Pochen am Fensterladen wurde irgendwann mit „Ja“ geantwortet, die Stimme kam ihm aber fremd vor. Hoyer pochte nunmehr so lange und anhaltend, bis die in der Oberstube schlafende Frau Schotte erwachte, herunter eilte, dem Hoyer öffnete und sich sofort nach der Unterstube zu ihrem Mann begab, der dort auf dem Sofa zu schlafen pflegte. Sie fand ihn auf dem Sofa liegend mit einem Mantel und Sofakissen zugedeckt, voller Blut und ohne Lebenszeichen. Der sofort herbeigerufene Arzt, Sanitätsrat Dr. Kayser zu Naumburg, konnte nur noch den Tod feststellen.
In der Stube brannte eine Wachskerze in einer Blendlaterne, auf dem Tisch lagen eine Menge Schubkästen, welche aus dem Schreibpult und einem darüber befindlichen Schrank herausgezogen waren. Die darin gewesenen Papiere lagen verstreut umher und alles bare Geld war verschwunden. Außerdem wurden eine Reihe von Kassenanweisungen, eine Pappschachtel mit preußischen und ausländischen Doppel-Louisd'ors, ein Fünffrankenstück und einige Dukaten vermisst. Es fehlte auch eine Blechbüchse mit verschiedenen Münzsorten und das für Hoyer bereit gelegte Geld zur Bezahlung des Torfs. Eine Tatwaffe konnte nicht gefunden werden. Bei der Obduktion des Leichnams wurden zwei bedeutende Kopfverletzungen vorgefunden, Spuren eines Kampfes waren nicht sichtbar.
Die Ermittlung des Täters war höchst schwierig, da sich die Frage stellte, wie war dieser in die Wohnstube gelangt und wie war er entkommen? Da die Haustür verschlossen war und auch keine Spuren von Gewalt an der Fenstern zu finden waren, wurden die Hintergebäude des Wohnhauses und die daran grenzenden Gärten genauer untersucht. Sobald es hell geworden war, entdeckte die Polizei Fußspuren, die durch mehrere angrenzende Gärten führten und schließlich auch solche an einer Mauer zur nächsten Straße. Dabei zeigte sich, dass der Täter nur Strümpfe getragen hatte.
Aus allen diesen Wahrnehmungen schlussfolgerte man, dass der Täter mit der Örtlichkeit sehr vertraut gewesen sein musste. Im Laufe der Ermittlungen wurden einige Verdächtige verhaftet, deren Unschuld sich später aber herausstellte. Schließlich verdichteten sich die Hinweise auf eine Täterschaft des „übel berüchtigten“ Ziegeldeckers Johann Gottfried Reinsperger, welcher in der Michaelisgasse wohnte und die Örtlichkeiten genauestens kannte. Auch war er den Untersuchungsbehörden gut bekannt, weil er bereits sieben Mal wegen Diebstahl, Beleidigung und Misshandlung beschuldigt und in den meisten Fällen auch bestraft wurde.
Der Verdächtige war verheiratet und Vater von 2 Kindern. Obwohl seine Frau versicherte, dass ihr Mann am 25. Oktober nach Zwickau gereist sei, war dieser am 29. dort noch nicht angekommen und von mehreren Zeugen am 27. Oktober in Naumburg gesehen worden. Man fand ihn schließlich in Schleiz, wo seine Geliebte namens Friederike Wolfram wohnte, der er versprochen hatte, sie zu ehelichen und mit ihr nach Amerika auszuwandern. In Schleiz war er am 30. Oktober morgens 3 Uhr, also 24 Stunden nach der Tat angekommen, die Beute des Raubes konnte bei ihm allerdings nicht gefunden werden. Bei seiner Geliebten wurden abgetrennte Socken, schwärzlich beschmutzt, vorgefunden, welche er derselben zum Anstricken gegeben hatte. Die von der Polizei in den Gärten genommenen Fußspuren passten genau zu diesen Socken. Auch konnte er nicht nachweisen, wo er in den Tagen vor der Tat gewesen war. Bei seiner Überstellung von Schleiz nach Naumburg gelang es ihm zu fliehen, nähere Angaben dazu fehlen.
Nachdem Reinsperger sich vom 8. bis 14. November herumgetrieben hatte, suchte er bei seinem in der Mädergasse in Naumburg wohnenden Schwager, dem Ziegeldecker Hübner Unterschlupf. Hübner informierte aber die Polizei, die Reinsperger dann dort verhaftete.
In den nun folgenden Vernehmungen bestritt der Verdächtige anfangs die Tat und versuchte auch noch, den Verdacht auf einen Anderen zu lenken. Konfrontiert mit den Aussagen seiner Frau und seines Schwagers, sowie anderer Zeugen, sagte er schließlich folgendes aus: Er ist am 28. Oktober abends nach 11 Uhr aus seiner Wohnung mit einem Beil aufgebrochen, um bei Schotte einzubrechen. Er hat jedoch nicht gewusst, dass dieser in seiner Wohnstube schläft. Als er ihn dort vorfand, hat er beschlossen, wenn Schotte aufwachen und den Versuch machen sollte, die Ausführung des Diebstahls zu verhindern, ihn dann mit dem Beil vor den Kopf zu schlagen. Nachdem er die Ausräumung der Schränke begonnen hatte und Schotte erwachte, hat er ihm einen Schlag an die rechte Schläfe gegeben, worauf dieser betäubt zurückgesunken sei und noch geröchelt habe. In seiner Angst, dass er nochmal aufwachen würde und ihn erkenne, hat er ihm noch mehrere Schläge am Kopfe versetzt und bei dessen fortdauernden Röcheln ihm auch mehrmals die scharfe Ecke des Beils in den Hals gedrückt. Gegen 2 Uhr früh ist er wieder in seine Wohnung zurückgekehrt und hat seiner Frau erklärt "ich bin unglücklich".
Auf Grund dieses Geständnisses wurde er von der Mehrheit der Geschworenen für schuldig befunden, den Seifensiedermeister Schotte vorsätzlich getötet zu haben, um sich dessen Geld anzueignen. Daraufhin verurteilte der Gerichtshof Johann Gottfried Reinsperger zum „Verlust der bürgerlichen Ehre und zum Tode“. Die Beute blieb unauffindbar.
Zunächst saß der Verurteilte im Marientor ein, welches wahrscheinlich schon ab dem 16. Jahrhundert als Gefängnis diente. Im 2. bis 4. Obergeschoss des Turm gab es noch im 19. Jahrhunderts Zellen, die bis in die 1870er Jahre genutzt wurden. Danach nahm die Stadt einen damals „modernen“ Gefängnisneubau in Betrieb, von dem am Salztor heute nur noch ein großer Schutthaufen übrig ist.
Am 28. April 1854 versuchte Reinsperger noch einmal, sich seiner Strafe zu entziehen. Dazu erfahren wir einen Tag später aus dem Kreisblatt: „Heute Abend in der achten Stunde hat sich der Raubmörder Reinsperger seiner Fußfesseln in der Haube des Marienturms entledigt und ist trotzdem ihm die Hände noch gebunden waren, aus dem Gefängnisse durch das Ofenloch durchgebrochen und innerhalb des Marientores herunter gesprungen, worauf er sich aber so beschädigt hatte, dass er zwei Stunden darauf starb.“