Chaos bei der Anordnung von Schlüssel und Schwert im Naumburger Stadtwappen
19. Juni 2024
„Städte führen fast immer eigene Wappen. Die Wappen der Städte sind historisch oft sehr alt, auch deshalb wird häufiger von ‚Stadtwappen‘ als von ‚Gemeindewappen‘ gesprochen.“ So steht es bei Wikipedia geschrieben. Und natürlich hat auch unser nun bald 1000-jähriges Naumburg ein Stadtwappen.
Im § 2 „Wappen, Flagge, Dienstsiegel“ der Naumburger Hauptsatzung von 2018 (die späteren Änderungssatzungen betreffen nicht diesen Paragraphen) ist dieses Stadtwappen wie folgt beschrieben: „Das Wappen der Stadt Naumburg (Saale) zeigt in Silber schräggekreuzt einen roten Schlüssel, das Schließblatt viereckig, und ein gestürztes rotes Schwert. Das Schwert liegt über dem Schlüssel.“ Damit wäre eigentlich zu diesem Thema schon alles gesagt, wenn diese Beschreibung nicht Interpretationsmöglichkeiten böte. Denn ob sich z. B. das Schwert rechts und der Schlüssel links befindet, oder umgekehrt, bleibt offen. Auf der Suche nach Darstellungen des Stadtwappens wird man bei einem Spaziergang durch die Stadt schnell fündig. Doch warum sehen sie so unterschiedlich aus?
Hervorgegangen ist das Wappen aus früheren Stadtsiegeln. Das älteste bekannte Siegel der Stadt Naumburg ist aus gelbem Wachs und hängt an einer Urkunde von 1305. Es zeigt Christus auf einem Postament stehend, mit einem Glorienschein umgeben, der die an seinen beiden Seiten stehenden Apostel Peter und Paul segnet. Die Apostel sind mit ihren Attributen Schlüssel und Schwert dargestellt. „Dieses Siegel“ schrieb Eberhard Kaufmann 1997, „ist rein geistlichen Ursprungs, handelt es sich doch bei den Aposteln Peter und Paul um die Schutzpatrone des Naumburger Domes.“ Im Jahr 1376 finden sich erste Wappendarstellungen, auf denen nur die Attribute Schlüssel und Schwert zu sehen sind. Sixtus Braun schreibt in seinen Naumburger Annalen: „Der Rat hat für 28 gr. ein Einhorn gekauft.“ Gemeint ist damit das Ratstrinkhorn, das im Stadtmuseum zu sehen ist. Auf den Kreuzungsstellen des silbernen Beschlages des Horns erscheinen verschiedene silberne Schildchen, die Schlüssel und Schwert in roter Farbe, aber in verschiedenen Stellungen zueinander zeigen. Aber immer mit dem Griff des Schlüssels rechts unten und dem Schwertgriff links unten. |
Deutliche Veränderungen an Siegel und Wappen sind an einem aus dem Jahr 1433 erhaltenen Siegel zu erkennen. Die Schutzpatrone Peter und Paul wurden durch den Heiligen Wenzel, den Schutzpatron der Stadt- und Ratskirche ersetzt. Dieser hält ein Wappen, auf dem der Griff des Schlüssels noch rechts unten, aber der Griff des Schwertes rechts oben ist. Damit unterscheidet sich das Wappen deutlich von dem des Domkapitels und demonstriert, wie Kaufmann schreibt, die Selbstherrlichkeit der Stadt gegenüber diesem.
Betrachtet man die an der Fassade bzw. dem Portal des Rathauses angebrachten Wappen, dann sieht man, das auch mit der Darstellung des Wappens in den Folgejahren oftmals recht freizügig umgegangen wurde. Die vom Meister Volkmar 1482 geschaffene Wappentafel zeigt die Griffe von Schlüssel und Schwert oben, die Wappen am Portal von Conrad Steiner aus dem Jahre 1612 unten. In einem Siegel aus dem Jahre 1510 steht der heilige Wenzel wieder im Mittelpunkt. Seine rechte Hand hält eine Fahnenlanze, die linke ein Schild mit Schlüssel und Schwert. Hier befindet sich der Schwertgriff links oben und der Schlüsselgriff links unten.
Zu der offenbar willkürlichen Darstellung von Schlüssel und Schwert auf den Wappenschilden kann man in einem Artikel des Kreisblattes aus dem Jahr 1911 lesen, dass „die meiste Schuld an dieser betrübenden Tatsache wohl darauf zurückzuführen ist, dass weder das Dom- noch das Stadtarchiv auch nur das geringste Schriftliche über frühere Siegel- und Wappenvorschriften aufzuweisen hat, denn augenscheinlich ist es weder im 14. noch im 15. Jahrhundert irgend jemandem hier in Naumburg eingefallen, feste Regeln für die Darstellung des Dom- und Stadtwappens schriftlich niederzulegen.“ Voraus man schlussfolgern kann, dass „die obersten städtischen Behörden keine Aufmerksamkeit auf solche Sachen wie das Wappen verwendet“ haben, obwohl es dafür nur einer einfachen Festlegung bedurft hätte.
Aus dem Jahre 1746 gibt es ein aufschlussreiches Protokoll, dass anlässlich der Aufstellung bzw. der Erneuerung von Grenzsteinen im Buchholz verfasst wurde. Um das Gebiet von Stadt und Domkapitel eindeutig voneinander abzugrenzen, wurden 26 Grenzsteine aufgezählt und für jeden einzelnen aufgeschrieben, welche(s) Wappen und welche Jahreszahl sie zeigen, sowie der Abstand zum nächsten Stein. „Nr. 1. Ein Stein, auf der einen Seite mit des Dom-Capituls Wappen, nach dem Capituls Holze zu, auf der anderen Seite nach dem Rats Holze zu mit des Stadt-Rats-Wappen. Auf beiden Seiten stehet Jahr-Zahl 1670. Schritte 50 bis zu Stein Nr. 2.; Nr.2. Ein Dom Capituls-Stein mit dessen Wappen und der Jahr-Zahl 1746, Schritte 50 bis Nr. 3.; Nr. 3. Ein Rats-Stein mit dessen Wappen und der Jahr-Zahl 1744, Schritte 55 bis Nr. 4. usw.“ Heinrich Sieling, der darüber im Kreisblatt 1911 berichtete, hatte sich die Steine angesehen und festgestellt, dass alle Wappen den Schlüssel mit dem Griff rechts unten zeigen, aber alle Wappen des Domkapitels den Schwertgriff links unten und die der Ratsstadt den Schwertgriff rechts oben zeigen. Er stellte damit fest: „Es ist nicht zu bezweifeln, dass man dadurch zwischen kapitularischen und städtischem Wappen eine Unterscheidung machen wollte.“
Trotz dieser Klarstellung „wurden aber schon am Ende des 18. Jahrhunderts um der Symmetrie willen Schlüssel und Schwert willkürlich vertauscht, so dass eine heillose Verwirrung entstand. Das Wappenkunderbunt forderte das Gespött aller Wappenkundigen heraus“ ist in einer Betrachtung im Tageblatt Anfang 1939 zu lesen. Gut dokumentiert wird diese Aussage durch die Abbildungen der Wappen an den Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Naumburger Schulgebäuden.
Endlich fasste der Magistrat am 5. November 1929 außerhalb der Tagesordnung folgenden, vom Bürgermeister Roloff und Stadtbaurat Hoßfeld unterschriebenen Beschluss: „Als maßgebendes Stadtwappen soll das an dem Kachelofen im Magistratssitzungszimmer befindliche Wappen gelten. Das Wappen ist auch an den städtischen Fuhrwerken (Straßenbahn, Feuerwehr usw.) anzubringen.“ Eine beigefügte Grafik zeigt den Schlüssel mit dem Griff rechts unten und dem Schwertgriff rechts oben. Eine Ansichtskarte aus jener Zeit zeigt das erwähnte Sitzungszimmer mit dem Kachelofen. Leider ist das Wappen auf dem genannten Ofen, der heute nicht mehr existiert, kaum zu erkennen. In einer Beschreibung aus dem Jahr 1922 im Tageblatt heißt es: „Prächtig leuchtet der weiße Kachelofen mit seinem kräftigen grünen und blauen Ornament und seinem schönen, leuchtend roten Stadtwappen.“
Anfang 1939 findet sich im Tageblatt noch einmal ein Hinweis darauf, wie das Wappen auszusehen hat. Zu einer grafischen Darstellung des Wappens ist dort zu lesen: „Unser Bild gibt das Naumburger Stadtwappen wieder, wie es als endgültig anerkannt ist und im Dienstgebrauch verwendet wird. Es ist zu empfehlen, dass sich auch alle privaten Stellen dieser Form bedienen, damit die Einheitlichkeit gewahrt bleibt. Die Attribute, Schlüssel und Schwert sind rot, der Schild weiß mit schwarzem Rand.“ Wenn auch das Schwert mehr wie ein Dolch aussieht, so ist, wie mittlerweile seit Jahrhunderten im städtischen Wappen sein Griff rechts oben und der Schlüsselgriff rechts unten. Staunen kann man über die Aussage des genannten Artikels, dass auch „private Stellen“ das Wappen nutzen können.
Bei allen bisherigen Betrachtungen wurde darüber berichtet, wie die Griffe von Schlüssel und Schwert im Wappen gezeigt werden. Nicht erwähnt wurde, dass es bis zu diesem Zeitpunkt immer unstrittig war, dass der Schlüssel auf dem Schwert zu liegen hat. In einem Beitrag im Kreisblatt von 1898 heißt es dazu: “Petrus, dem die Schlüsselgewalt, d. h. die göttliche Gewalt bezüglich des Reiches Gottes auf Erden gegeben ist, hat dadurch und auch, weil er der Apostelfürst ist, den Vorrang vor Paulus und darum darf auch der Schlüssel vom Schwerte nicht vorn, sondern hinten gekreuzt werden.“ In einem Artikel der Zeitschrift „Der Deutsche Herold“ von 1912 wird diese Sichtweise noch einmal bekräftigt.
Aus nicht nachzuvollziehenden Gründen wird 1959 plötzlich folgende Änderung angekündigt: „Der Rat der Stadt Naumburg beabsichtigt, in nächster Zeit die Form und Ausführung des Stadtwappens festzulegen. Sollte die Benutzung und Ausführung für die nächsten Wochen dringend sein, so ist vor allem zu beachten, dass das Schwert über dem Schlüssel liegt.“ Das Ganze auf einem Blatt in Maschinenschrift, ohne Unterschrift und mit dem handschriftlichen Datum 6.1.1959 versehen. Leider konnte der entsprechende Beschluss des Stadtrates, der vielleicht auch eine Begründung enthält, bisher nicht im Stadtarchiv gefunden werden. Nach Darstellung von Eberhard Kaufmann in einem Artikel vom 3. März 1997 führte diese Änderung bei der Bevölkerung zur Verärgerung. Der bekannte Naumburger Holzbildhauermeister Walter Vogler soll noch kurz vor seinem Tode, im Jahre 1980 berichtet haben: „Das Schwert über den Schlüssel, bei Wappendarstellungen hat sich in den letzten zwanzig Jahren kein Naumburger Bürger schnitzen lassen, die standen alle in der Opposition und ließen sich die alte Darstellungsweise schnitzen.“
Nach der Wende wurde in der Hauptsatzung unserer Stadt vom 13.12.1990 folgendes festgelegt: „§ 1 Die Stadt führt als Wappen: eine Schildfigur weißgrundig mit Schlüssel und Schwert rot aufgelegt.“ Eine Grafik zeigt das Schwert über dem Schlüssel. Man hat also die historisch falsche Darstellung aus DDR-Zeiten übernommen. Trotzdem sieht man auf den später angefertigten Kanaldeckeln den Schlüssel über dem Schwert liegen.
Auf der Gemeinderatssitzung am 26.09.2001 stand das Stadtwappen wieder auf der Tagesordnung, weil man festgestellt hatte, dass das Wappen nicht genehmigt ist. In einer Beschlussvorlage wurde behauptet, dass sich „im Laufe der Zeit herausgebildet hat, dass im Kreuzungspunkt der Attribute das Schwert über dem Schlüssel liegt“ und beantragt, diese Fassung „aus traditionellen Gründen“ beizubehalten. In der Diskussion erläuterte Stadtrat Klimke, ein ausgewiesener Kenner der Naumburger Stadtgeschichte, unter Zitierung verschiedener Quellen, dass einzig und allein die Darstellung Schlüssel über Schwert historisch richtig ist. Oberbürgermeister Preißer beharrte auf seiner Meinung gemäß Beschlussvorlage und führte an: „An den Autos der Naumburger Stadtverwaltung liegt das Schwert über dem Schlüssel. Wenn diese Darstellung geändert werden soll, müssen Dienstsiegel, Briefköpfe, Wappenaufdrucke usw. komplett erneuert werden, was sehr kostenintensiv wäre.“ Nachdem der Änderungsantrag von Stadtrat Klimke „Schlüssel über Schwert“ nach historischer Vorlage mit 13 gegen 14 Stimmen abgelehnt wurde, nahm die Mehrheit der Abgeordneten die vom Oberbürgermeister eingereichte Beschlussvorlage an.
Aus Kostengründen müssen wir heute also mit einem historisch falschen Wappen leben.
Bildquellen: Siegel an der Urkunde von 1305: Ernst Borkowski, Die Geschichte der Stadt Naumburg an der Saale, alle anderen Bilder sind eigene Aufnahmen