Von der selbstfahrenden Kutsche zum Motorsport – 100 Jahre Weinbergrennen
18. Oktober 2024
„Opel feiert 125 Jahre Automobilbau“ kann man in der einen oder anderen Form in diesem Jahr immer wieder lesen oder hören. Dabei ist der Begriff Automobil heute kaum noch geläufig, er diente ursprünglich nur zur Unterscheidung von Motorfahrzeugen und Fuhrwerken. Personenkraftwagen, kurz PKW, ist die heute gängige Bezeichnung.
Adam Opel und seine Nachkommen waren auch nicht die ersten, die Automobile herstellten. Bevor sie 1899 zum Automobilbau kamen, stellten sie Nähmaschinen und später Fahrräder her. Als Geburtsjahr des Automobils mit Verbrennungsmotor gilt heute das Jahr 1886. Damals wurde dem deutschen Erfinder Carl Benz ein Patent auf seinen Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 als erstem praxistauglichen Kraftwagen der Welt erteilt. Anfangs ähnelten die „Motorwagen“ noch sehr den Pferdekutschen, erst nach und nach änderte sich das. Nicht nur die heute bekannten Firmen befassten sich damals mit dem Autobau, viele kleine Firmen stellten in dieser Zeit ihre Fahrzeuge in Handarbeit und in Kleinserien her. Die meisten dieser Prototypen waren bald den zunehmenden Ansprüchen und dem Konkurrenzdruck der Serienfertigung nicht mehr gewachsen, die kleinen Betriebe gingen schnell ein.
Wie war das nun in Naumburg mit den Automobilen und was hielten die Menschen damals von den „selbstfahrenden Kutschen“? Wieland Führ und Hans-Dieter Speck schreiben dazu in ihrem Buch „Naumburg, die Stadt auf historischen Fotografien“, dass sich der Ingenieur Max Landgraf als erster Naumburger im Juli 1901 ein Auto gekauft hatte. „Noch rannten die Kinder den wenigen Automobilen, die durch die Stadt fuhren, hinterher. Die Erwachsenen blieben oft kopfschüttelnd stehen und mussten sich erst langsam und nicht ohne Zweifel an die moderne Technik gewöhnen. Oft schlug auch offener Hass dem neuen Gefährt entgegen. In vielen zeitgenössischen Berichten finden sich immer wieder Hinweise auf tätliche Angriffe mit Steinen, Knüppeln und anderen Gegenständen auf die Automobile, die den Kraftstoff noch in der Apotheke tankten. Auch für die Pferde und sonstigen Tiere war das knatternde Ungetüm wenig zuträglich.“
Über die Gründe, warum Max Landgraf das Auto kaufte, kann man nur spekulieren. Vielleicht war der Anlass eine Ende Juni 1901 veranstaltete „Tourenfahrt“ von Paris nach Berlin, die auch durch Naumburg führte und an der, wie das Kreisblatt schrieb, „67 Selbstfahrer“ teilnahmen. „Eine neue Art Fahrzeug, das unseren gesteigerten Verkehrsbedürfnissen entspricht, soll einer großen bisher nicht dagewesenen Kraftprobe unterworfen werden. Die Veranstaltung dient der vergleichsweisen Ausprobierung und Vervollkommnung einer Einrichtung, die der Allgemeinheit zu gute kommt. Wer sich hierüber klar geworden ist, dem wird es nicht schwer werden, für den guten Zweck Rücksichten zu nehmen.“ Folgende Verhaltensregeln wurden für den Tag des Eintreffens der Fahrzeuge gefordert: Man solle „seine Kinder an diesem Tage nicht auf der Durchfahrtsstraße herumspielen lassen, seine Hunde, Hühner und Gänse, besonders aber scheue Pferde von dieser Straße fernhalten und sich selbst, sei es zu Wagen oder zu Fuß, nicht gerade mitten auf dem Fahrdamm bewegen.“
Über Koblenz, Frankfurt und Eisenach kommend, erreichten die am Sonntag zuvor in Paris gestarteten Fahrzeuge am Donnerstag, dem 27. Juni Naumburg. An der Strecke, die von Polizei und Radfahrerposten abgesichert wurde, stand „eine dichte Reihe Schaulustiger, groß und klein, alt und jung, vornehm und gering“, die die nach und nach eintreffenden Fahrzeuge mit Beifall begrüßten. Das Kreisblatt schilderte die Eindrücke der Schaulustigen wie folgt: „Wer die Fremdlinge zum ersten Male mit der Schnelligkeit eines Eisenbahnzugs da her gebraust kommen sah wird ohne Zweifel von dem Anblicke betroffen gewesen sein, denn alle, Herren wie Damen (deren nicht wenige mitfuhren), ja selbst einzelne Kinder waren in große Staubmäntel gehüllt und hatten den Kopf durch Kapuzen, die Augen besonders durch Schutzbrillen, zuweilen auch den ganzen Vordersitz durch eine hohe Glaswand geschützt gegen die natürlich bei der raschen Fahrt scharfe Zugluft und gegen den dichten Staub, der die ziemlich geräuschlos dahin sausenden Gefährte in Wolken umwirbelte.“ In der Weißenfelser Straße gab es eine Kontrollstelle, an der der Benzin- und Wasservorrat ergänzt wurde und Kontrollzettel ausgetauscht wurden. Da unter den Fahrern viele Franzosen und Belgier waren, fungierte „Herr Uhrmacher Precht als Dolmetscher“.
Trotz solcher „Großveranstaltungen“ blieb die Zahl der Automobile zunächst noch vergleichsweise gering, die Motorisierung der Fahrräder bis hin zum Bau von Motorrädern ging rascher vonstatten. Deshalb verwundert es nicht, dass schon 1903 die Deutsche Motorradfahrer-Vereinigung (DMV) als Interessenvertretung für Motorradfahrer gegründet wurde. 1904 hatte dieser Verein 3 300 Mitglieder, 1905 waren es schon 10 000. Da 1907 immer mehr Mitglieder der DMV ein Auto fuhren, benannte man den Verein in "Deutsche Motorfahrer-Vereinigung" um. 1911 schließlich, als unter den 17 000 Mitgliedern 12 000 Wagenbesitzer waren, beschloss der DMV wiederum eine Umbenennung, diesmal in „Allgemeiner Deutscher Automobilclub“, der heutige ADAC wurde aus der Taufe gehoben. Der Club sah sich nunmehr als Interessenvertreter aller Formen der motorisierten Fortbewegung: Motorrad, Motorwagen, Motorboot, Flugzeug und Luftschiff.
Wie schnell die Anzahl der Autos in Naumburg anstieg ist nicht bekannt. Immerhin müssen es 1908 schon einige gewesen sein, denn in diesem Jahr wurde der erste Automobilclub in Naumburg gegründet. Später wird dieser auch als Ortsgruppe des ADAC bezeichnet.
Zur Unterstützung der Arbeit des Naumburger Clubs, oder vielleicht auch wegen seiner aktiven Arbeit, genaues ist nicht bekannt, fand Ende Juli 1910 hier ein Motorfahrerfest statt. Der Gau IIb (Sachsen⸗Anhalt) der Deutschen Motorfahrer-Vereinigung hatte sich unsere Stadt zu seinem Hauptgautag auserwählt. Das Fest begann mit einem vom Naumburger Automobilklub gegebenen Frühstück, dem ein gut besuchtes Frühschoppenkonzert im Schützenhaus folgte. Gegen 11 Uhr trafen mit Girlanden und Fähnchen geschmückte Fahrzeuge von einer Sternfahrt ein. Nach diversen Sitzungen folgte am Nachmittag ein Festumzug, an dem ca. 50 Automobile und 10 Motorfahrzeuge teilnahmen. Über Kösen ging es zur Rudelsburg, dann zum Kaffee in den Kurgarten. Ein gemütliches Beisammen im Bürgergarten beendete die Veranstaltung. Im Kreisblatt war dazu noch zu lesen: „Ein Missklang hat bei den Veranstaltungen des Motorfahrerfestes nicht gefehlt.“ Zwei Automobilfahrer fuhren rücksichtslos in den schmalen Eingang zur Vogelwiese am Schützenhaus ein. „Einem Herrn mit zwei Kindern an der Hand gelang es nur noch mit knapper Not, sich und die Kleinen vor dem rasenden Auto zu retten,“ nur „ein hübsches Hündchen fiel ihnen zum Opfer.“ Die Fahrer „verhielten sich gegenüber den entrüsteten Zurufen des Publikums ganz gleichgültig und zeigten auch noch ein zynisches Lächeln.“
Im Verlaufe des ersten Weltkriegs wurden ab 1915 Privatfahrten mit dem eigenen Fahrzeug untersagt. Erst sechs Jahre nach Kriegsende gab es wieder größere Motorsportveranstaltungen. Ende Februar 1924 wurde u. a. eine Deutschlandfahrt vom Bodensee über München, Nürnberg, Erfurt nach Leipzig durchgeführt. Die beteiligten 90 Autos und Motorräder kamen auch durch Naumburg, wo sie von vielen Zuschauern begrüßt wurden.
Die Motorradfahrer fühlten sich wohl im ADAC unterrepräsentiert, weshalb 1923 der Deutsche Motorradfahrer-Verband (DMV), gegründet wurde. Ein Jahr später gehörten ihm schon 95 Ortsklubs mit etwa 5 700 Mitgliedern an. Mitte April 1924 fand die zweite Hauptversammlung des Verbandes in Naumburg statt. Erst wenige Wochen zuvor war die Motorradabteilung des Naumburger Automobilklubs, später Naumburger Motorrad-Club e. V., gegründet worden. Über die Veranstaltung wurde im Tageblatt berichtet: „Von früh an knatterten die Motoren und tönten die hellen Hupen der meist zweisitzigen, häufig mit Beiwagen versehenen Krafträder in nie dagewesener Zahl durch die Straßen. Auf dem Marktplatz bauten sich die Räder der Teilnehmer in Reih und Glied auf. Der unbeteiligte Zuschauer konnte nur schwer überschauen, wie groß die Zahl der Maschinen war, deren verschiedene Systeme von vielen Neugierigen betrachtet wurden.“ Die Beratungen des Verbandes fanden im Ratskellersaal statt.
Noch im gleichen Jahr, am 26. Oktober 1924, wurde das erste Naumburger Weinbergrennen, damals „Bergprüfung“ genannt, durchgeführt. Veranstalter war der ADAC. Die Abnahme der gemeldeten Fahrzeuge fand am Tag zuvor im Hof der Autowerke Peter u. Moritz A. G. in der Weißenfelser Straße statt. Von dort aus wurde am nächsten Tag gemeinsam zum Start des Rennens an der Saalebrücke bei Almrich gefahren. „Die Prüfungsstrecke führt von dort bis auf die Höhe vor Niedermöllern zum Ziel am Kilometerstein 3,8. Sie weist eine Länge von 3,3 Kilometern und bei einer Gesamt-Höhendifferenz von 145 Metern Steigungen bis 8,5 Prozent auf. Daher ist sie vorzüglich geeignet, den Zweck der Prüfung zu erfüllen, der in der Herausbildung leistungsfähiger Gebrauchsfahrzeuge besteht, wie sie sich der ADAC unter Berücksichtigung der schlechten deutschen Straßenverhältnisse zum Ziele gestellt hat.“ Am Start waren 68 Fahrer, die Motorräder in 5, die Autos in 6 Klassen unterteilt. Es hatte sich eine vielköpfige Zuschauermenge eingefunden, die sich am Start, am Ziel und an der zweiten, der gefährlichsten Kurve aufstellte. „Dank vorzüglicher Organisation ging alles ohne Unfall glatt von statten, und so wird das Bergrennen, das jedes Jahr ausgetragen wird, zu einem der bedeutendsten Sportereignisse in unserer näheren und weiteren Umgebung werden,“ prophezeite das Tageblatt.
Eine weitere Motorsportveranstaltung, das sog. Naumburger Dreiecksrennen „Rund um Dobichau“ wurde 1928 und 1929 vom Naumburger Motorradclub im Auftrag des DMV organisiert. Starten durften „Motorräder und solche mit Beiwagen“ auf einer ca. 12 km langen Strecke, die 6 bzw. 12-mal zu durchfahren war. Auch diese Veranstaltung lockte jedes mal tausende Zuschauer an.
Im zweiten Weltkrieg war dann kein Platz mehr für den Motorsport, und auch danach war die Lage schwierig. Es bildeten sich mehrere kleinere Sportgemeinschaften für alle Arten von Motorsport und es wurde auch eine Motocross-Strecke geschaffen, die aber nie zu Rennzwecken, sondern immer nur als Trainings-Strecke benutzt wurde.
Am 1. Juni 1958, ein Jahr nach Gründung des Allgemeinen Deutschen Motorsport Verbandes (ADMV) mit seinem ersten Sportpräsidenten Manfred von Brauchitsch, wurde der Motorsportclub Naumburg als Club innerhalb des ADMV der DDR gegründet. Eine von vielen Aktivitäten des Clubs, an die sich noch mancher ältere Naumburger erinnern dürfte, waren in den 1960iger Jahren die K-Wagenrennen, bei denen verschiedene Schleifen im Stadtinneren befahren wurden. Als 1977 der ADMV zwanzig Jahre alt wurde, nahm das der Motorsportclub Naumburg zum Anlass, das Weinbergrennen wieder aufleben zu lassen. Es wurde als DDR-Meisterschaftslauf für den Straßenrennsport in allen Auto- und Motorradklassen durchgeführt. Das ging bis 1988, dann war erst mal Schluss. Nach der Wende, 1997, konnte das Rennen wiederbelebt werden, nunmehr als Gleichmäßigkeitsprüfung. Nach Unterbrechungen 2001 und 2003-2007 gab es 2008 einen Neustart mit Rekordbeteiligung.
2011 erlebten dann rund 1 200 Zuschauer das 21. und letzte Rennen auf dieser Strecke. 125 Teilnehmer kämpften mit verschiedensten Fahrzeugen um die besten Zeiten, wobei es nicht um die Geschwindigkeit ging, sondern wieder um die Gleichmäßigkeit. Drei Wertungsläufe, von denen die beiden besten in die Wertung kamen, mussten in möglichst identischer Geschwindigkeit absolviert werden.
Verschiedenste Gründe, u. a. strenge Auflagen zur Beschaffenheit der Rennstrecke ließen keine weitere Rennen zu.
Der Dank des Autors gilt Uwe Wenzel (http://www.naumburg-almrich.de) für die Überlassung von Material zu den Weinbergrennen.