Einführung der Standesämter in Preußen vor 150 Jahren
20. November 2024
Geburt, Hochzeit und Tod sind einschneidende Ereignisse im Lebenszyklus eines Menschen, die seinen Kontakt, oder den seiner Angehörigen mit Behörden erfordern. Heute sind das die Standesämter, aber das ist in Preußen, zu dem Naumburg damals gehörte, erst seit 1874 so. Vorher war das allein eine Angelegenheit der Kirche, bei nicht der Kirche Angehörigen und Juden die zuständigen Gerichte.
Von den Kirchen wurden Verzeichnisse über Taufen, Trauungen und Todesfälle geführt, die sog. Kirchenbücher. Man unterscheidet dabei zwischen Tauf-, Ehe- und Sterbebüchern, mitunter wurden aber auch alle Einträge in einem Buch vorgenommen. Erste Kirchenbücher hat es wohl im 15. Jahrhundert gegeben. Doch die Führung solcher Verzeichnisse war nicht verpflichtend, weshalb ihre Einführung nur schleppend verlief.
Der frühere Naumburger Superintendent L. Naumann hat uns mit seiner 1913 veröffentlichten Arbeit „Die ältesten Kirchenbücher Naumburgs im Dienste der Stadtgeschichte“ interessante Informationen in dieser Sache hinterlassen. Er schrieb damals: „Wenn auch die alte Kirche in ihren Diptychen [in der Liturgie unmittelbar vor oder während des Hochgebetes, verlesene Namen von Toten und Lebenden, die als Mitglieder der Kirche angesehen wurden] Vorgänger unserer Kirchenbücher hatte, so sind diese mit ihrer Dreiteilung doch erst ein Kind der evangelischen Kirche. Aber nicht mit der Reformation zugleich sind sie ins Leben getreten.“
Erste Anregungen zur Anlegung von Tauf-, Ehe- und Sterberegistern gab es wohl auf einer Versammlung angesehener Theologen in Leipzig 1544, auf der über den Plan einer neuen Kirchenordnung beraten wurde. Doch bis zur Verwirklichung dieses Vorhabens verging noch viel Zeit.
In den evangelischen Kirchen spielte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Führung von Kirchenbüchern bei Visitationen eine zunehmende Rolle. Solche Visitationen wurden von dazu Befugten durchgeführt, um jeden einzelnen Ortspfarrer zu überprüfen, „ob er der neuen evangelischen Lehre entsprach und den gewandelten Anforderungen an das Pfarramt gewachsen war.“ Philipp Melanchthon hatte schon 1527/1528 unterstützt von Martin Luther einen Vorschlag für eine Visitationsordnung verfasst, also noch bevor eine offiziell anerkannte Kirchenordnung vorhanden war.
Naumann berichtet dazu: „Obschon z. B. in der für das Amt Eckartsberga erteilten Instruktion von den Kirchenbüchern nicht die Rede ist, so wurde doch in der Nachbarschaft des Amtes, in Cölleda, angeordnet: ‚Auch sollen drey registerlein zu den eheleuten, teufflingen und verstorbenen verschaffet werden.‘ Man wird drum nicht fehl gehen, wenn man die Fertigung der ersten Register in die letzten fünfziger, bzw. in die ersten sechziger Jahre des Reformationsjahrhunderts setzt. Auf diese Zeit weisen auch die ältesten Kirchenbücher der Ephorien [Kirchenbezirke] Zeitz und Naumburg hin. Das älteste hat die Michaeliskirche in Zeitz aufzuweisen (1566), dann folgt die hiesige Wenzelskirche (1567).“
Auf die Anlegung und Fortführung der Kirchenbücher wurde bei Visitationen ab den siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts deutlich mehr geachtet. In der Visitations-Instruktion von 1597 steht dann auch unter Nr. 8 ausdrücklich die Frage nach der Führung der Kirchenbücher. Wenn man glaubt, dass damit die Arbeit mit diesen Büchern allgemein üblich geworden war, so wird man enttäuscht. Die Ursache dafür, so Naumann lag möglicherweise darin, „dass man die Führung der Register nicht ausschließlich dem Pfarrer übertrug, sondern es ihm überließ, auch den Küster heranzuziehen.“ Aus verschiedenen Orten ist bekannt, dass nicht selten auch der „Schulmeister“ diese Aufgabe übertragen bekam. Zur Beantwortung der Frage, ab wann in welchem Ort tatsächlich Kirchenbücher geführt wurden, ist allerdings der jetzige Bestand daran nicht maßgebend, „da manches alte Register durch elementare Unglücksfälle, durch Brände der Pfarrhäuser, vielleicht auch hie und da, ja vielleicht nicht selten durch die Schuld der Stelleninhaber verlorengegangen ist.“
Nach Naumann existieren die ältesten Naumburger Kirchenbücher wie schon erwähnt in der Kirchengemeinde St. Wenzel ab 1567, in St. Moritz ab 1586, in der Domgemeinde ab 1598 und in St. Othmar ab 1611.
Aus den bis in die heutige Zeit erhaltenen Kirchenbüchern lassen sich vielfältige Informationen ableiten, so z. B. zu Bevölkerungszahlen und Auswirkungen von Kriegen und Epidemien. Auch für Ahnenforscher sind sie unverzichtbar. In Deutschland allerdings haben sie seit 1874 an Bedeutung verloren. Der Staat begann vor 150 Jahren eigene Register aufzubauen. Am 9. März 1874 wurde dazu das preußische Gesetz über die „Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung“ beschlossen.
Wie kam es dazu? Damals war das deutsche Kaiserreich auf dem Weg zu einem modernen Industriestaat und der Reichskanzler Bismarck wollte zum einen die staatliche Verwaltung besser durchorganisieren und zum anderen die Macht der Kirche einschränken und von ihr ausgeführte Ämter auf den Staat übertragen. In dem genannten Gesetz wurde deshalb festgelegt, dass Eheschließungen, aber auch Geburten und Sterbefälle, künftig von einer zivilen staatlichen Stelle durch einen Standesbeamten beurkundet werden müssen. Es schlug die Geburtsstunde der Standesämter.
Für die Einführung der Standesämter gab es aber auch ganz praktische Gründe, denn damit stand dem Staat nunmehr eine effektive Methode der Volkszählung zur Verfügung. Das war zum Beispiel für das Eintreiben der Steuern und die Rekrutierung von Männern für den Wehrdienst wichtig.
Mit dem Gesetz verlor die Kirche ihr Privileg, Ehen zu schließen und wieder aufzulösen. Von nun an konnten Ehen nur noch auf dem Standesamt geschlossen werden. Mit dieser Zivilehe war der kirchliche Segen, den ein Paar bei der Trauung durch einen Geistlichen empfängt, nicht mehr nötig. Die Sache hatte noch einen Vorteil, die Eheschließung von Menschen unterschiedlicher Konfessionen wurde nunmehr problemlos möglich.
Ganz neu war das Ganze allerdings nicht. Schon 1792/93 kam es in Frankreich im Ergebnis der Revolution von 1789 zur Reform des allgemeinen Eherechts, Frauen durften erst mit 21 und nicht wie früher mit 16 Jahren heiraten und nicht die Kirche, sondern der Staat wurde für die Eheschließung verantwortlich. Auch das Scheidungsrecht wurde reformiert, Frauen durften sich nunmehr auch scheiden lassen. Allerdings hatten diese Regelungen keinen Bestand, 1804 hob Napoleon sie wieder auf.
In Naumburg wurde im Kreisblatt am 28. September 1874 eine Bekanntmachung des Magistrats abgedruckt, in der über die Inkraftsetzung des Gesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung ab 1. Oktober informiert wurde. Erster Standesbeamter wurde der Bürgermeister Breslau, der jedoch „die bezüglichen Funktionen widerruflich dem Stadtrat Herrn Sanitätsrat Dr. Wagner übertrug.“ Diese Bekanntmachung enthielt auch eine Zusammenstellung der wichtigsten Bestimmungen, „welche für den Bedarfsfall sorgfältig aufzubewahren namentlich allen Familien-Vorständen dringend empfohlen wird.“
Reichlich 8 Wochen später genehmigte die Stadtverordnetenversammlung dann auch die Übernahme der Kosten für die Ersteinrichtung des Standesamtes in Höhe von etwas über 26 Talern und die Anstellung eines Schreibers für monatlich 12 Taler.
Wie vermutlich bei der Inkraftsetzung jedes Gesetzes machte sich auch hierzu in der Bevölkerung Unsicherheit breit. Würde zukünftig nur das Personenstandsgesetz gelten, wird es nur in Verbindung mit den gewohnten Kirchengesetzen gültig sein oder ist gar die Kirche ganz außen vor? Was genau muss getan werden, welche Fristen sind einzuhalten, welche Strafgelder sind bei Nichteinhaltung zu zahlen?
Der damalige Naumburger Pastor Schiele veröffentlichte deshalb im Kreisblatt eine Handlungsanleitung „Für Diejenigen, welche wie bisher nach christlicher Ordnung leben wollen“ und „Für Diejenigen, welche nicht mehr nach christlicher Ordnung leben wollen“. Erstere konnten vereinfacht gesagt, wie bisher verfahren, mussten aber immer zuvor zum Standesamt gehen.
Letztere ließ er wissen: „Sie unterlassen alle Anzeigen beim Pfarramt, verzichten auf die Taufe und Konfirmation ihrer Kinder, schließen ihre Ehen ohne Gottes Segen, begraben ihre Toten ohne Geläut, Gebet und christlichen Trost, leben überhaupt so dahin, als gäbe es keinen Gott, kein ewiges Leben, kein Gericht. Gott helfe in Gnaden, dass es solcher Leute auch nicht einen Einzigen unter uns gebe und unser christlich deutsches Volk die gelassene Freiheit nicht missbrauche; sondern vielmehr nun erst recht gebrauche zu Gottes Ehre und zum gemeinsamen Wohl.“
Im Kreisblatt vom 7. Dezember 1874 erschien eine Kurzfassung der neuen Regelungen in Versform.
Der Kaufmann Herr Georg Elschner und seine Frau waren das letzte Paar in Naumburg, dessen Eheschließung ausschließlich „kraft des kirchlichen Segens geschah.“ Das erste Paar, das nach dem neuen Gesetz die Ehe schloss — und zwar am 15. Oktober 1874, weil erst die vierzehntägige Aushängefrist verstreichen musste, war der frühere Ratskellerpächter Herr Hermann Hillig mit seiner Gattin. „Das Standesamt selbst aber als staatliche Einrichtung hat sich, wie im Naumburger Kreisblatt 25 Jahre nach der Einführung zu lesen war, „bei unserer Bevölkerung eingebürgert, ohne der Erfüllung kirchlicher Pflichten Eintrag zu tun.“
Mit nur geringen Änderungen wurde das preußische Personenstandsgesetz reichsweit als Reichsgesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1876 eingeführt. Dieses Gesetz blieb mit nur geringfügigen Modifikationen über 60 Jahre gültig. Erst am 1. Juli 1938 wurde es durch ein neues Personenstandsgesetz abgelöst. Bezüglich der Führung der Personenstandsbücher war die maßgebliche Veränderung, dass das bisherige Heiratsbuch durch ein Familienbuch abgelöst wurde, das nicht nur zur Beurkundung der Eheschließungen diente, sondern auch „den verwandtschaftlichen Zusammenhang der Familienangehörigen ersichtlich“ machen sollte. Auch nach dem 2. Weltkrieg galt das Gesetz zunächst weiter. Nur einzelne Vorschriften, die „auf spezifisch nationalsozialistischer Denkweise und Zielsetzungen beruhen“ wurden aufgehoben. Am 1. März 1957 trat in der DDR dann ein neues Personenstandsgesetz in Kraft.
Der Dank des Autors gilt Pfarrerin Christina Lang und Frau Susanne Kröner für die Überlassung der Auszüge aus dem Traubuch der Wenzelsgemeinde von 1567.