Was wegen der Mahl- und Schlachtsteuer alles in Naumburg passierte

20. Januar 2025

Vor 150 Jahren waren in der Silvesternacht die Glocken, die das Jahr 1875 einläuteten, kaum verklungen, als in Naumburg, und nicht nur hier, die Einwohner Zeuge eines besonderen Ereignisses wurden. „Unter Jubel und Gesang der in den schneebedeckten Straßen auf- und abwogenden Menschenmassen“, so war im Kreisblatt zu lesen, wurden „alle Tore weit geöffnet und durch einige derselben verschiedenes Vieh eingeführt.“

Warum trieb man Vieh bei Frost und zu nachtschlafender Zeit in die Stadt, wird sich heute so Mancher fragen, doch damals war dieser symbolische Akt von großer Bedeutung für die Bevölkerung.

Um das zu verstehen, müssen wir in das Jahr 1820 zurück blicken. „Wir Friedrich Wilhelm, von Gottes Gnaden, König von Preußen verordnen hiermit, im Verfolg Unsers heutigen Gesetzes über die Einrichtung des Abgabenwesens, wegen Erhebung einer Mahl- und Schlacht-Steuer, nach angehörtem Gutachten Unsers Staatsrats, wie folget:“ ist in der peußischen Gesetzsammlung unter dem Datum 30. Mai zu lesen, gefolgt von 19 Paragrafen. Danach war eine Mahlsteuer auf das zur Mühle gebrachte Getreide und die in das Steuergebiet eingeführten Fertigwaren zu entrichten und eine Schlachtsteuer auf die zum Schlachten angelieferten Tiere bzw. die eingeführten Fleisch- und Fettwaren.
Doch damit nicht genug, wurde am selben Tag die Erhebung „einer besonderen Abgabe unter der Benennung einer Klassensteuer“ angeordnet. Nach dieser wurden die Steuerpflichtigen in fünf Klassen eingeteilt. Die „Lohnarbeiter, gemeines Gesinde und Tagelöhner“ in die unterste oder fünfte, „der geringere Bürger- und Bauernstand“ in die vierte, die „gemäßigt wohlhabenden Einwohner“ in die dritte, die „wohlhabenden Einwohner“ in die zweite, sowie die „vorzüglich wohlhabenden und reichen Einwohner“ in die erste Klasse. Die Steuerpflichtigen der einzelnen Klassen hatten gestaffelte Sätze zu entrichten.
Die Mahl- und Schlachtsteuer war nur in den anfangs 132 Städten zu zahlen, die dafür königlich privilegiert waren, wozu auch Naumburg gehörte, und ersetzte dort die Klassensteuer. Diesen privilegierten Städten war es gestattet, zur Deckung ihres kommunalen Haushaltes einen Zuschlag auf die Mahl- und Schlachtsteuer zu erheben.

Wie muss man sich die Verfahrensweise zur Erhebung der Steuern bei uns nun konkret vorstellen? Die Grundlage dafür war ein im Kreisblatt vom 19. September 1821 abgedrucktes „von Einer Königlich Hochlöblichen Regierung zu Merseburg festgestelltes Regulativ zur Erhebung und Controlle der Mahl- und Schlachtsteuer“, das 33 Paragrafen enthielt.
Darin war zunächst erst mal festgelegt, welcher „Teil von Naumburg und seinen Umgebungen“ die Steuer zu entrichten hatte. Dazu gehörte die Stadt selber, „die Herrenfreiheit, die Dompropbstei-Vorstadt, die Rats-Vorstädte, die Pfortenhöfe, die Amtsvorstädte, die dem Georgenberge, den nach der Nackten-Henne zu gelegenen beiden Windmühlen nebst den in deren Nähe gelegenen Wohn- und Weinbergshäusern“, sowie die „an der Chaussee und auf dem Wege nach Grochlitz hin gelegenen Wohn- und Gartenhäuser, mit Einschluss des Feld-Hospitals, dem Schießhause, dem Bürgergarten und sämtlichen Etablissements, welche von da ab nach der Stadt zu gelegen sind“.
Zum äußeren Stadtbezirk, „d. h. diejenigen Ortschaften und Etablissements, welche innerhalb einer halben Meile von Naumburg entfernt liegen und die Klassensteuer entrichten“, gehörten „das Dorf Grochlitz, die Neue Mühle bei Schönburg, die Gruppen-Mühle bei Wethau, die Dörfer Schönburg, Wethau, Alt-Flemmingen, Altenburg, Rosbach, Groß-Jena, Klein-Jena, Schellsitz und die Landschule Pforta.“ Allerdings hatten Gewerbetreibende in diesem Bezirk ebenfalls die Mahl- und Schlacht-Steuer zu bezahlen.
Weiter hieß es: „Wer Mehl, Graupe, Grütze, Gries, geschrotetes Getreide, geschrotete Hülsen-früchte, Brot, Backwerk, Nudeln, Stärke und Puder oder Fleisch und Fett von Rindvieh, von Schafen, Ziegen und Schweinen, so wie Waren, die aus solchem Fleische und Fette zubereitet sind, als Talglichte, Schinken, Würste usw. in den Stadtbezirk einbringt, muss solches in den Torexpeditionen deklarieren, dort einen Anmeldeschein entnehmen und von da ab sofort ohne Aufenthalt und ohne Abweichung von dem geraden Wege dem Haupt-Steuer-Amte zur Revision und Verwiegung stellen.“ Auch „Teig, welcher aus den nahe gelegenen Dörfern in die Stadt gebracht wird, um gebacken und als Brot wieder ausgeführt zu werden, muss in den Torschreibereien angemeldet und aus demselben Tore, wo es eingegangen, als Brot wieder ausgeführt, auch beim Ausgange jedesmal dem Torschreiber deklariert werden.“ Der Transport der genannten Waren war zunächst nur durch das Salz-, Vieh- [Wenzels-], Jakobs-, Marien- und Neu-Tor zulässig.

Mit der Einführung der Steuern gewann die mittelalterliche Naumburger Stadtbefestigung, die keinerlei militärischen Wert mehr hatte, wieder an Bedeutung, bestand doch die Notwendigkeit, die Zugänge zur Stadt zu überwachen. Trotzdem wurde um 1820 das Jakobstor, 1821 das Herrentor, 1824 das Salztor und 1836 das Wenzelstor abgerissen. Nur das Marientor blieb uns erhalten, vermutlich weil es in dieser Zeit als Gefängnis genutzt wurde und weil genügend Platz vorhanden war, um eine bequemere Straße am Tor vorbei anzulegen. Mitte der 1820er Jahre begann man mit der teilweisen Zuschüttung der Stadtgräben und dem teilweisen Abbruch der Stadtmauer.

Damit nach dem Abbruch der alten Tore die Bezahlung der Mahl- und Schlachtsteuer weiterhin überwacht werden konnte, wurden stattdessen Gittertore errichtet. Außerdem baute man einige sogenannte Torschreiberhäuser. Am Jakobstor entstanden 1820 solche Kontrollhäuser, die 1904 wieder abgerissen worden. Nicht genau am Standort des alten Salztores, sondern an der heutigen Stelle wurden 1835 die Salztorhäuschen erbaut. Nach dem schon erwähnten Abbruch des Wenzelstors 1836 durften bis zum Neubau eines Torschreiberhauses an dieser Stelle im Jahr 1840 keine steuerpflichtigen Dinge hier entlang in die Stadt gebracht werden. Weitere neue Steuerkontrollstellen wurden 1832 am Moritztor, 1835 am Michaelistor und 1847 vor dem Neutor eingerichtet. Als man 1854 das Georgentor abbrechen ließ, entstand auch hier ein Kontrollgebäude.

Ab 1824 wurden die sogenannten Torschreiber oder Torwärter mit einer Uniform ausgestattet. Sie trugen einen Oberrock von graumelierten Tuche mit scharlachroten Aufschlägen und gelben Knöpfen, lange weite Beinkleidern von demselben Tuche, wollene Strümpfe und eine Mütze von dunkelblauen Tuch mit Schirm von schwarzem Glanzleder und scharlachroter Einfassung.

Da heute wie früher niemand gern Steuern zahlt, gab es immer wieder Versuche, steuerpflichtige Waren am Torschreiber vorbei zu schmuggeln. Das betraf zum Beispiel Mehl, das von den Windmühlen in der Hallischen Straße geholt wurde und üblicherweise durch das Marientor in die Stadt gebracht wurde, wo es zu versteuern war. Allerdings nur, wenn die Menge eine Viertelmetze [1½ Pfund] nicht überstieg. Da hatte man die Möglichkeit, mehrmals am Tag zur Mühle zu gehen, oder es tat sich eine Anzahl Jungen zusammen, jeder mit einem Mehlsäckchen ausgerüstet, in das eine Viertelmetze passte. Am Tor musste jeder sein Säckchen hochheben und seinen Namen sagen. Es wurde aber auch versucht, den Torschreiber bei der Registrierung abzulenken, indem einige ihre kleinen Mengen vorzeigten und andere schnell mit größeren Mengen vorbei rannten.
Wollte man mit Körben, anderen Behältern oder Fuhrwerken die Tore passieren, hatten die Kontrolleure das Recht, mittels eines Eisenstabes, der unten eine Öse hatte, dort hinein zu stechen. Dabei konnte es passieren, dass darin evt. befindliche Schmuggelware wie Mehl, Eier, Fleisch oder Würste zerstochen wurden und Teile davon in der Öse hängen blieben. Und schon war der Schmuggelnde entlarvt.

Vermutlich waren die Versuche, die Steuererhebung zu umgehen und die Anzahl der dabei Überführten gar nicht so klein, weshalb die Stadtbehörden 1837 folgenden Beschluss fassten: „Allen denjenigen hiesigen Bürgern, welche sich einer klar vorliegenden Mahl- oder Schlachtsteuer-Defraudation [Hinterziehung] schuldig machen, soll durch Übereinstimmung beider Stadtbehörden das Bürgerrecht entzogen werden.“ Und weiter: „Wir glauben und hoffen, diese Strafe nie in Ausführung bringen zu dürfen.“ Erstmals wurde 1841 von dem Beschluss Gebrauch gemacht weil ein nicht namentlich genannten Bäckermeister zum wiederholten Male der Steuerhinterziehung überführt wurde. 

Eine der vielen Forderungen im Rahmen der Märzrevolution 1848 betraf die Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer. Und tatsächlich kam der preußische König am 4. April 1848 dieser Forderung bezüglich der Mahlsteuer nach. Allerdings verkündete er: „An Stelle der Mahlsteuer tritt eine direkte Steuer, deren Form der Wahl der betreffenden Kommune unter Genehmigung Unserer Minister überlassen bleibt.“ Da wie schon erwähnt, die Stadt einen Zuschlag auf die Mahl- und Schlachtsteuer erheben konnte und das auch tat, fehlten 1848 plötzlich im Stadtsäckl über 7.000 Taler, weshalb zur Deckung der Differenz im Juni 1848 die Zahlung einer Kommunal-Einkommen-Steuer beschlossen wurde.
Am 1. Juli 1851 wurde allerdings die Mahlsteuer wieder eingeführt, was im Vorfeld einige Unruhe auslöste. In der Stadt tauchten Briefe auf, in denen mit Feueranlegen gedroht wurde, sobald dies in hiesiger Stadt geschehen sollte. Daraufhin wurde im „Deutschen Bürger“ verkündet, dass, „wer durch dergleichen Drohungen seine Mitbürger beunruhigt, mindestens eine sechsmonatliche Zuchthausstrafe verwirkt hat, welche nach den Umständen sogar bis zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe gesteigert werden kann.“ Das schreckte wohl ab, denn über Brandstiftungen in der Zeit liegen keine Nachrichten vor.

Die Zahl der Städte, in denen die Mahl- und Schlachtsteuer erhoben wurde, hatte sich von anfangs 132 bis 1865 auf 76 verringert. Auf eine Anfrage der Regierung im Jahr 1864 erklärten sich die Naumburger Stadtverordneten nur dann für die Aufhebung der Steuer, wenn diese anderwärts auch aufgehoben werde.
1870 stand das Thema wieder auf der Tagesordnung. Als bekannt wurde, dass in einer Gesetzesvorlage, die Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer in 28 verschiedenen Städten betreffend, Naumburg wieder nicht mit aufgeführt ist, sammelte man Unterschriften für eine Petition, um das zu ändern. 530 Bürger und Einwohner der Stadt unterschrieben und daraufhin nahm der Landtag Naumburg mit in die Beschlussvorlage auf. Das veranlasste den Naumburger Magistrat und die Stadtverordneten eine Gegenpetition zu verfassen und eine Deputation nach Berlin, an das Königliche Staatsministerium zu entsenden. Und sie hatten Erfolg, in Naumburg musste weiterhin diese Steuer bezahlt werden.
In den Folgejahren petitionieren die Stadtbehörden wiederholt beim Landtag gegen die Aufhebung der Steuer. Sie argumentierten wie folgt: 1870 waren hier 62.927 Taler Staats- und Stadtsteuern eingenommen wurden, davon 29.144 Taler durch die Mahl- und Schlachtsteuer; von letzterer Summe erhielt die Stadtkasse 10.452 Taler und erhob außerdem noch 2,5 % Kommunalsteuer. Um das Defizit bei Wegfall der Mahl- und Schlachtsteuer auszugleichen, müsste die Kommunalsteuer auf 6 bis 7 % erhöht werden.

Im Jahre 1873 war es dann aber doch soweit: per Gesetz vom 25. Mai verkündete der König, dass in allen mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten vom 1. Januar 1875 an die Mahl- und Schlachtsteuer aufgehoben und die Klassensteuer eingeführt wird. Wie oben schon berichtet, war der Jubel darüber groß und so wurden zur Feier des Anlasses, übrigens nicht nur in Naumburg, am 1. Januar 1875 kurz nach Mitternacht die Tore geöffnet. Im Kreisblatt war zu lesen: „Brot und Fleisch können nunmehr ungehindert zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Stadt eingebracht werden, aber auch liederliches Gesindel aller Art kann ungeniert ein- und auspassieren. Betrachtet man nun den jetzigen Wechsel des Steuersystems, werden die Heißsporne, welche sich für die Einführung des Klassensteuer-Systems ereifert hatten, gewiss hinreichend abgekühlt werden.“ Dann wurde die Rechnung aufgemacht, dass zwar eine Steuer wegfällt, aber dafür eine andere hinzu kommt bzw. erhöht wird und am Ende mehr Steuern zu bezahlen sind, als bisher. Der Schreiber dieses Artikels hatte sicher schon die neue Gemeinde-Einkommensteuer-Ordnung vom 23. Dezember 1874 gelesen.

Die nutzlos gewordenen zum Teil eisernen, zum Teil hölzernen Tor- und Pfortenflügel, samt der zugehörigen Sandsteinpfeiler wurden schleunigst verkauft, später auch einige der Kontrollhäuser abgerissen.

 

Der Dank des Autors gilt Frank Minner für die Bereitstellung seiner Ansichtskarten.

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