Ein Kapitel aus der Naumburger Schulgeschichte und ein 120 Jahre altes Schulhaus

22. April 2025

Im 20. Jahrhundert wurden in Naumburg 9 Schulgebäude neugebaut, bzw. erweitert, vier noch zur Kaiserzeit, vier in den Jahren des Bestehens der DDR und eines nach der politischen Wende. Das im Stadtbild wahrscheinlich auffälligste Gebäude davon ist das der heutigen Alexander-von-Humboldt-Sekundarschule, zentrumsnah gelegen und am Curt-Becker-Platz nicht zu übersehen. Am 27. April 1905 wurde es als Reformgymnasium mit Realschule eingeweiht.

Mit Einrichtung eines solchen Reformgymnasiums mit Realschule wurde in Naumburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein neues Kapitel Schulgeschichte aufgeschlagen, eine Geschichte, die eigentlich schon im 11. Jahrhundert mit der Domschule begann. Spätestens ab 1392 gab es eine zweite Lehranstalt für die männliche Jugend, die Ratsschule. Beide Bildungsanstalten dienten vor allem der Vermittlung lateinischer Sprach- und Schriftkenntnisse. Die Ratsschule wurde lange Zeit gut besucht, erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts ging die Schülerzahl stark zurück. Zuletzt hatte sie nur noch eine lateinische Klasse. Infolge der Konkurrenz durch die Domschule, die Fürstenschule in Pforta und die Zeitzer Schule war das Bestehen der Naumburger Ratsschule stark gefährdet. Seit dem Jahre 1773 gab es deshalb Bestrebungen, sich mehr „dem genio der Zeit zu nähern“, indem die drei unteren Klassen neben dem Lateinischen neue Lehrfächer aufnahmen, die mehr das praktische Leben berücksichtigten, während die drei oberen Klassen als Ziel die Sekunda der sächsischen Fürstenschulen erstrebten, jedoch auch noch zur Universität entließen.

Zwischen dem Domkapitel und dem Stadtrat kam es über mehrere Jahre zu offiziellen Verhandlungen, um eine Reform des hiesigen Schulwesens vorzubereiten. Man einigte sich schließlich und so erfolgte am 5. Mai 1808 die feierliche Verbindung der oberen Klassen der bisherigen Stadtschule mit der Domschule (seit 1822 Domgymnasium genannt). Aus den unteren Klassen entstand eine Bürgerknabenschule für die gesamte Stadt. Der Lehrplan der Bürgerknabenschule wurde so gestaltet, dass damit auch ein späterer Besuch der Domschule möglich war.

Reichlich 50 Jahre später gab es Überlegungen, aus der Bürgerknabenschule heraus einen höheren Bildungsgang einzurichten. „Es war an eine Schule gedacht,“ so ist in Emil Kraatz Buch „Aus dem Leben eines Bürgermeisters“ zu lesen, „die nicht etwa im Gegensatz zum Domgymnasium treten sollte, dem auch weiterhin die Vorbildung der studierenden Jugend überlassen blieb, sondern die bestimmt war, eine bessere Vorbildung für die Erwerbsstände zu geben.“ Ein erster Schritt dazu war die Gründung einer aus zwei Klassen mit drei Jahrgängen bestehenden Vorschule für diese neue Bildungseinrichtung, die ab 1. Oktober 1861 im Gebäude der Bürgerknabenschule am Topfmarkt untergebracht wurde. Nachdem man in einem Haus am Steinweg Nr. 736 (heute Nr. 18), welches dem Buchdruckereibesitzer Gottfried Paetz gehörte, eine Wohnung mit fünf Zimmern in der ersten Etage gemietet hatte, wurde am 13. April 1863 die neue Schule, „höhere Bürgerschule“ genannt, mit den drei untersten Klassen zugleich feierlich eröffnet. Nach zweieinhalbjährigem Bestehen erreichte die Schule mit der Einrichtung einer fünften Klasse (Sekunda) ihre vorläufige Endausbaustufe. Der Magistrat beantragte deshalb am 31.07.1867 die staatliche Anerkennung als höhere Lehranstalt. Das Ministerium genehmigte daraufhin am 22. August 1867, "das mit denjenigen Schülern der Anstalt, welche zwei Jahre lang der ersten Klasse angehört haben, zu Michaelis d. Js. eine Abgangsprüfung nach dem Reglement vom 6. Oktober 1859 abgehalten werde".

Allerdings war die Unterbringung der Klassen in der Wohnung am Steinweg und der Vorschule im Bürgerschulgebäude am Topfmarkt mehr als unzulänglich. Daraufhin kaufte die Stadt das am Wilhelmsplatz (Kramerplatz) gelegene alte Gasthaus „Zum Preußischem Hof“ (früher "Zum goldenen Scheffel", heute Vordergebäude der Salztorschule) und richtete es für eine vorläufige Unterbringung der höheren Bürgerschule einschließlich ihrer Vorschule ein, so dass in den Weihnachtsferien 1869/70 die Verlegung dorthin erfolgen konnte. Dennoch, schrieb Emil Kraatz im o. g. Buch, „entwickelte sich die höhere Bürgerschule zunächst nicht gut, da ihr keinerlei Berechtigungen verliehen waren. Erst am 23. Mai 1871 wurde der Schule das Recht zuerkannt, Schüler, die der obersten Klasse — der Sekunda — mindestens ein Jahr angehört, an allen Unterrichtsgegenständen teilgenommen, sich das Pensum der Sekunda gut angeeignet und sich gut betragen hatten, mit der Berechtigung zum einjährigen Militärdienst zu entlassen.“ Worum ging es bei dieser Berechtigung? Schülern, die die genannten Anforderungen erfüllten, wurde die Möglichkeit eröffnet, ihre Militärdienstzeit auf ein Jahr zu verkürzen. Danach wurden sie als Reserveoffiziere eingestuft und ihre evt. vorhandenen beruflichen Aussichten auf eine Beamten­laufbahn erhöhten sich.

Um die Unterbringung der höheren Bürgerschule und der Bürgerknabenschule zu verbessern, entschloss sich die Stadt, an der Schulstraße auf dem Grunde der alten Wirtschaftsgebäude des Preußischen Hofes; also in unmittelbarer Nähe der höheren Bürgerschule ein neues Gebäude zu errichten. So entstand 1877/78 das erste in Naumburg neugebaute Schulhaus. Über die Aufteilung der Räume gab es zwischen den beiden Schulen jahrelange Streitigkeiten. Im Jahr 1887 wurden das Realprogymnasium, wie die höhere Bürgerschule ab 1882 genannt wurde, und ihre Vorschule miteinander vereint. Mit der Fertigstellung der Marienschule 1889 wurden auch die Streitigkeiten um die Raumaufteilung beendet, das Realprogymnasium bekam den ganzen rechten Flügel des Schulhauses in der Schulstraße einschließlich Aula und dem alten Vordergebäude.

Trotzdem, so Kraatz, „befriedigte diese lateinlose höhere Bürgerschule — Realprogymnasium genannt — keineswegs die hiesigen Bedürfnisse.“ Deshalb beantragte die Stadt, das Realprogymnasium durch Aufsetzen der noch fehlenden Prima in ein neunklassiges Realgymnasium umzuwandeln. Ein dahingehender Antrag an die Königliche Regierung wurde nicht genehmigt, ebenso wie ein 1894 gefasster Beschluss, die Anstalt in eine Oberrealschule umzuwandeln. Hintergrund war wohl die Sorge, dass das Domgymnasium dann seine Schüler verlieren könnte. Auch Verhandlungen zwischen der Stadt und dem Domkapitel, beide Einrichtungen zu einer Schule zu vereinen, scheiterten. Am 26. November 1891 schreibt Kraatz, „beschlossen sodann die städtischen Körperschaften, dem Zwange folgend, das Realprogymnasium in eine lateinlose Realschule, die dem Domgymnasium keine Konkurrenz machen konnte, umzuwandeln.“ Es zeigte sich aber, dass eine solche Schule für Naumburg ungeeignet war, die Schülerzahlen gingen von 211 im Jahre 1889 auf 125 im Jahre 1895 zurück, was nicht unerhebliche Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage des Naumburger Mittelstandes hatte. Ostern 1898 war die Umwandlung des Realprogymnasiums in eine Realschule beendet, doch die Schülerzahlen sanken weiter.

Ein letzter Versuch, nochmal die Errichtung eines Reform- Realgymnasiums zu beantragen, brachte schließlich das Ergebnis, dass das Königliche Provinzial- Schulkollegiums den Antrag unter der Bedingung genehmigte, dass für die vielen Schüler, die nur die Militärberechtigung erlangen wollten, die Realschule erhalten blieben sollte. Als am 26. November 1900 eine „Allerhöchste Kabinettorder“ erschien, die die humanistischen Gymnasien, die Realgymnasien und die Oberrealschulen als gleichwertig bezeichnete und ihnen die gleiche freie Entwicklung gewährleistete, war der Weg für eine erfolgreiche Entwicklung der Schule endgültig geebnet.

In den folgenden Jahren stiegen die Schülerzahlen so an, dass die Räume im alten Schulgebäude am Wilhelmsplatz nicht mehr ausreichten. Zunächst versuchte man noch, sich mit einigen provisorisch hergerichteten Räumen zu behelfen, was aber keine dauerhafte Lösung sein konnte. Schließlich beschlossen die Stadtverordneten am 4. September 1902 vor dem Jakobstor an Stelle der der Stadt gehörigen Grundstücke an der Weißenfelser Straße und der Jakobspromenade, ein neues Gebäude für das Reformgymnasium mit Realschule zu errichten. Im April 1903 wurde mit dem Bau begonnen und schon am 17. November konnte das Richtfest gefeiert werden. Anfang 1905 war „der größte Monumentalbau, den die Stadt seit dem Mittelalter ausgeführt hat“, wie man später lesen konnte, fertig. Die veranschlagten Kosten in Höhe von 361.000 Mark, 1903 auf 458.000 Mark aufgestockt, wurden etwas überschritten, am Ende standen ca. 500.000 Mark zu Buche.

Bis 1927 beherbergte das neue Gebäude unverändert das Reformrealgymnasium mit der Realschule, 1920 diente es als Hauptquartier und Waffenlager für die Anhänger des Kapp-Putsches. Pläne, die Realschule zu einer Oberrealschule auszubauen, wurden durch den ersten Weltkrieg und die Nachkriegszeit zunächst verschoben, ab 1925 wieder verfolgt. Am 29. Juli 1926 stimmte die Stadtverordnetenversammlung dem vom Direktor und Lehrkörper beantragten Vollausbau der Realschule zur Oberrealschule zu. Nach einer Übergangsphase ab 1927 wurde dieser Ausbau vom Minister am 1. März 1928 endgültig genehmigt. Der Unterschied zum Reformrealgymnasium bestand vor allem in einem verstärkten Unterricht in Mathematik, den Naturwissenschaften und in Englisch. In Bezug auf die Zulassung zum Universitätsstudium waren die Realgymnasien und Oberrealschulen mit den Gymnasien gleichgestellt. Am 24. und 25. Februar 1930 fanden an der Oberrealschule die ersten Reifeprüfungen statt. Alle 12 Oberprimaner bestanden, damit war die Oberrealschule anerkannt.

Mit einem ministeriellen Erlass vom 14. September 1931 wurden Sparmaßnahmen eingeleitet, die die Einsparung von Lehrkräften durch Herabsetzung der Zahl der Unterrichtsstunden und die schrittweise Rückführung der Oberrealschule zur Realschule durch Abbau der Oberstufe ab 1935 vorsahen. Ostern 1938 wurden die letzten Reifeprüfungen an der Oberrealschule abgelegt.
Im Zuge einer Schulreform zur „Vereinheitlichung des höheren Schulwesens“ die in der Oberstufe jeder „Oberschule“ für Jungen einen naturwissenschaftlich-mathematischen und einen sprachlichen Zweig vorsah, erhielt die Schule gem. amtlicher Bekanntmachung vom 7. September 1937 den Namen „Städtische Oberschule für Jungen“. Mit Genehmigung des Reichserziehungsministers, die am 7. Januar 1938 veröffentlicht wurde, erhielt die Schule dann den Namen „Walter Flex-Schule, städtische Oberschule für Jungen“ verliehen. Walter Flex (1887-1917), war ein „Kriegsfreiwilliger und Dichter“, den die Nationalsozialisten „als echten Krieger und als edlen Sänger, im Leben und Sterben ein Vorbild für deutsche Jugend“ für sich vereinnahmt hatten.

Nach den Osterferien 1945, also kurz vor Kriegsende, blieben die Schulen für den Schulbetrieb geschlossen, erst am 1. Oktober begann der Unterricht wieder. Die Schüler der Walter-Flex-Schule hatten sich in der Luisenschule zu melden. Am 9. Januar 1946 teilte der Oberbürgermeister mit, dass die Bezeichnung „Walter-Flex-Schule“ wegfällt und die Schule wieder die Bezeichnung „Oberschule für Jungen“ führt.

Im Frühjahr 1946 zog die Berufsschule mit der „in Auflösung begriffenen Mittelschule“ in das Schulgebäude in der Weißenfelser Straße ein, nunmehr hatte es die Adresse Theaterplatz 3. Der damalige Schulleiter berichtete: „So schön das ‚neue‘ Gebäude sich auch äußerlich präsentierte, innerlich hatte und hat es starke Mängel. Noch heute, im Sommer 1950, fehlen Schulmöbel: Sitzgelegenheiten in den Klassen, Stühle in der Aula. Schulfeiern, seit Jahren stehend zu absolvieren, verlangen stärkste Konzentration.“ In den nächsten Jahren gelang es, die Ausstattung Stück für Stück zu verbessern, sogar eine Tischlerwerkstatt wurde in einem Klassenraum eingerichtet.

Ab 1959 entstanden aus den bis dahin in der Sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR als Einheitsschule existierenden achtjährigen Grundschulen die polytechnischen Oberschulen. Eine solche war auch die frühere Uta-Grundschule, aus der per Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom Oktober 1953 die 3. Grundschule, später die 3. Oberschule geworden war. Diese hatte seit 1952 ihren Sitz u. a. im Schulgebäude in der Seilergasse. Im Zusammenhang mit dem „Übergang der Leitung der Berufsausbildung nach dem Produktionsprinzip“, wie es die Abteilung Volksbildung beim Rat des Kreises Naumburg 1964 verkündete, kam es zu Veränderungen in der Belegung von Naumburger Schulgebäuden. Die bis dahin im Schulgebäude am Theaterplatz, aus dem zwischenzeitlich der „Platz der Einheit“ geworden war, befindliche Berufsschule musste ihre Räume mit der 3. Oberschule tauschen.

Später erhielt diese 3. Oberschule den Namen des ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. Nach der Wende wurde daraus die Sekundarschule „Alexander von Humboldt“.

Es lohnt sich in jedem Falle, das Schulgebäude einmal näher anzusehen. Allein schon die Portale sind beeindruckend. Dazu wurde vor 120 Jahren berichtet: „Das linke Portal ist ein Rundbogen, der mit einem mächtigen Rosenkranz verziert ist. In dem Schlussstein sehen wir eine Eule als Symbol der Wissenschaft, ihre Weisheit vortragend, während unten zu beiden Seiten zwei Frösche dem Vortrage anscheinend nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit folgen — ein kleiner Scherz des Architekten.“

 

Der Dank des Autors gilt Frank Minner für die Überlassung eines Bildes der Ansichtskarte von 1913.

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