Die Naumburger Residenz Herzog Moritz I. und der wilde Mann
19. Oktober 2015
Immer wenn man den Naumburger Markt betritt, wird man von oben herab gemustert.
Der da den ganzen Tag herunterschaut ist natürlich nicht unser Oberbürgermeister, sondern der Sachse, der auf dem Dach des Hauses Markt 15 ständig zu sehen ist. Doch es gibt noch einen zweiten Beobachter, der offenbar kaum wahrgenommen wird. An der Süd-Ost-Ecke des Marktes, hinter dem Marktbrunnen steht ein stattliches Gebäude mit zwei markanten Giebeln, das heutige Amtsgericht, das von den Naumburgern immer noch Residenz genannt wird. Kurz unterhalb der Spitze des östlichen Giebels kann man einen vollbärtigen Männerkopf erkennen, der auf den Markt herabschaut.
An der Stelle des Residenzgebäudes standen ursprünglich vier Wohnhäuser, darunter das Wolffsche Haus, in der sich bis 1614 die erste Stadtapotheke befand, und das Michelsche Haus, von dem man annimmt, dass es vermutlich den „Gasthof zum wilden Manne“ beherbergte. Hier wohnte zum Fürstentag 1614 der Kurfürst Johann Georg I., der 1650 die vier Wohnhäuser kaufte und an ihrer Stelle ab 1652 unter Verwendung ganzer Mauerzüge und des Abbruchmaterials für seinen Sohn, Herzog Moritz (1656-1681), eine Residenz erbauen ließ. Diese war nur als Provisorium bis zur Fertigstellung des Neubaus des Schlosses Moritzburg in Zeitz gedacht, als eigentlicher Residenz des Herzogtums Sachsen-Zeitz.
Schon am 3. Oktober 1653 konnte Moritz das neue Haus beziehen, von wo aus er bis zum 1. Juli 1663 sein Herzogtum regierte. Danach zog er in das inzwischen fertiggestellte Schloss nach Zeitz.
Das zum Topfmarkt gelegene Eingangsportal der Residenz stammt möglicherweise von einem der vier abgebrochenen Wohnhäuser. Von dieser Seite aus führte einst ein auf Holzsäulen ruhender Gang zum sog. „Fürstenstuhl“ in die nördliche Chornische der Wenzelskirche. 1819 wurde dieser Gang abgerissen.
Auf der anderen Seite des Gebäudes befand sich ein geräumiger Hof, der ausreichend Platz für Pferdeställe und Kutschenschuppen bot.
Zum Markt hin war das Gebäude durch eine Lehmmauer mit zwei Toren abgegrenzt. An der Innenseite der Mauer wurden später acht hölzerne Verkaufsbuden errichtet. Als die Mauer 1747 abgerissen wurde, erhielten deren Besitzer im benachbarten Schlösschen neue Verkaufsstände zugewiesen. An Stelle der Mauer grenzte man den Vorhof nun mit einem Holzzaun und Linden ab, die entsprechend der damaligen Mode jährlich kunstvoll verschnitten wurden. Da sich dafür später kein preiswerter Gärtner mehr fand wurden die Linden schließlich 1821 entfernt.
Nach der Übersiedlung des Herzogs nach Zeitz wurde das Gebäude vom herzoglichen Hof nur vorübergehend und besonders während der Peter-Pauls-Messe genutzt. Das Haus diente vor allem als herzogliches Gästehaus. Einen Teil davon benutzte der kurfürstliche Amtsverwalter. In der großen Kelter im Hof wurde der Wein aus den benachbarten kurfürstlichen Weinbergen unter Aufsicht des kurfürstlichen Landgüterbeschauers, der die unteren Räume bewohnte, gekeltert. Zuweilen wurden auch Porzellanversteigerungen durchgeführt, zu denen von Meißen eine Kommission nach Naumburg kam.
Im großen Saal befand sich eine Bühne, auf der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nachdem 1716 das Opernhaus am Kramerplatz abgebrannt war, Vorstellungen stattfanden.
Im Herbst 1806 war im Gebäude das preußische Hauptquartier untergebracht und König Friedrich Wilhelm der III. hielt sich mit seiner Frau, Königin Luise, hier mehrere Tage auf. Nur kurze Zeit später, nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt, bewohnten Napoleon und seine Marschälle das Haus und sahen von den Fenstern aus ihre Truppen auf dem Markt vorbeimarschieren.
Als 1816 das Oberlandesgericht der neuen Provinz Sachsen nach Naumburg kam wurde es zunächst in der Residenz untergebracht, bis 1821 der Neubau des Gerichtsgebäudes an der Stelle der alten Dompropstei fertig war.
Schließlich wurde 1851 das Stadt- und Kreisgericht, später Amtsgericht, in das Gebäude verlegt.
Die unteren Räume beherbergten das Haupt-Steueramt. Der Hof und die Nebengelasse wurden von dieser Zollstelle seit 1819 als Güter-Stapelplatz und seit 1847 als Packhof des Eisenbahn-Spediteurs Gotthilf Otto, in dessen Haus Neustraße 9 übrigens von 1850 bis 1856 Friedrich Nietzsche wohnte, genutzt.
Nach dem 2. Weltkrieg befand sich im Erdgeschoss die Uta-Kunst-Stube, später die HO-Gasstätte Drushba.
Von 1998 bis 2001 ließ das Land Sachsen-Anhalt das Gebäude mit einem Aufwand von 11,7 Mio. Mark umfassend sanieren.
Doch was hat es nun mit dem eingangs erwähnten Kopf auf sich?
Friedrich Hoppe (1879-1959), ein anerkannter Naumburger Heimatforscher berichtete, dass man den Kopf 1926 bei Erneuerungsarbeiten an der Giebelspitze des Gebäudes freigelegt hat und beschrieb ihn als energisch, mit feiner Nase, dicker Unterlippe, langem Vollbart und wirrem Haar ohne Kopfbedeckung. Er soll von dem 1652 abgebrochenen alten Hause stammen.
Es könnte also der „Wilde Mann“ sein, der Namensgeber des ehemaligen Gasthofes.